Blutgrab
sich ein wenig Freizeit verdient, zumal er die Zeit, die er mit Maja hatte, nutzen wollte.
Andererseits besaß er ein großes Pflichtbewusstsein.
War es sinnvoll, jetzt die Nachricht abzuhören?
Wenn es wirklich wichtig gewesen wäre, hätte man ihn sicherlich auch über Handy angerufen. Heinrichs schreckte schließlich sonst auch nicht davor zurück, ihn mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln, wenn etwas geschehen war.
Nachdem er die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewägt hatte, entschied er sich, das Signal des AB zu übersehen, und nahm das Mobilteil aus der Ladestation, um damit in die Küche zurückzukehren. Nachdem er die Bestellung aufgegeben hatte, stand er wieder vom Küchentisch auf. »So«, brummte er. »Und jetzt bin ich mutig und zeige dir meine Hütte. Noch ist es früh genug, falls du dir lieber ein Hotelzimmer nehmen möchtest.«
Ulbricht kannte genug Menschen, denen er mit dieser Bemerkung auf den Schlips getreten wäre, doch Maja kannte ihn offenbar gut genug, um zu wissen, wovon er sprach.
»Du musst dich nicht entschuldigen, Norbert. Ich bin gespannt, den Rest deiner Wohnung zu sehen.«
»Viel gibt es da gar nicht zu sehen. Dann komm.« Ulbricht wollte die Peinlichkeit beenden, um wenigstens den Rest des späten Abends noch genießen zu können.
Mit gemischten Gefühlen führte er sie durch seine Dreizimmerwohnung. Hier hatte er die Zeit mit seiner Familie verbracht, hier war seine Tochter Wiebke aufgewachsen, bis sie an der Seite ihrer Mutter nach Nordfriesland verschwunden war. Viele Jahre hatte es gedauert, bis er sich seinem Schicksal, fortan als Einzelkämpfer durchs Leben zu gehen, gefügt hatte. Eine neue Freundin hatte er nach der Trennung von seiner Frau nicht mehr gehabt, wohl aus Angst vor einer weiteren bitteren Enttäuschung, die seinem Beruf als Polizist und der damit verbundenen knappen Freizeit geschuldet war.
»Du hast wenigstens einen Balkon«, bemerkte Maja im Wohnzimmer. Ulbrichts Blick glitt über die staubige Tischplatte, auf der die Ränder seiner hier getrunkenen Bierflaschen für ein unansehnliches Muster sorgten. Auch auf dem Fernseher eine dicke Staubschicht. Selbst jetzt, bei Licht, wirkten die altmodischen Gardinen vergilbt und der Fernsehsessel verschlissen. Das schreckliche Muster des Teppichs war in seinen Augen noch das kleinere Übel.
Doch Maja nickte zufrieden. »Ist doch nett.«
»Wie man es nimmt.« Er durchschritt den Raum und öffnete die Balkontür, mehr, um durchzulüften, als ihr den Ausblick zu präsentieren.
Doch Maja folgte ihm an die frische Abendluft und ließ den Blick auf die Straße gleiten. »Großstadt«, murmelte sie und betrachtete die umliegenden Häuser, die sich sanft an den Hügel schmiegten. »Jetzt weiß ich, warum es das Bergische Land genannt wird. Bei euch geht es ja ständig auf und ab.«
»Das hat nichts mit der Topografie zu tun«, lächelte Ulbricht. Er trat neben sie und lehnte sich auf die Brüstung, dabei fiel sein Blick auf den vollen Aschenbecher. Das Regenwasser hatte eine Pfütze gebildet, die Asche und Zigarettenstummel zu einer hässlichen Masse aufgeweicht hatten. »Es heißt so nach den Grafen von Berg.«
»Rauchst du wieder?« Maja hatte den Aschenbecher auch entdeckt.
»Selten.«
»Das sieht nicht so aus.« Sie lächelte und war offensichtlich versucht, nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen.
»Das ist alte Plörre«, erwiderte er schnell.
»Zeigst du mir den Rest?« Sie stieß sich von der Balkonbrüstung ab und betrat wieder das Wohnzimmer.
»Du bist echt hart im Nehmen«, stellte Ulbricht fest und zeigte ihr Wiebkes ehemaliges Kinderzimmer. Die Möbel aus den Achtzigern standen noch an Ort und Stelle. Er hatte nichts verändert; wahrscheinlich, weil er insgeheim immer auf die Rückkehr seiner Familie gehofft hatte. Dennoch hatte er es in den letzten Jahren vermieden, das Kinderzimmer zu betreten. Entsprechend muffig roch es.
»Weiß deine Tochter, dass es ihr Kinderzimmer noch gibt?« Maja wirkte erstaunt, als sie die vergilbten Bravo-Poster an der Wand über dem Bett sah. Relikte einer längst vergessenen Zeit. In einem Regal Barbiepuppen und ein großes, pinkfarbenes Plastikauto.
»Nein.« Ulbricht schüttelte den Kopf. »Als ich sie besucht habe, war ich versucht darüber zu sprechen, habe es aber nicht auf die Reihe bekommen.« Nun lächelte er ein wenig wehmütig. »Wahrscheinlich würde mich Wiebke für total bescheuert halten.«
»Sie würde sich bestimmt freuen«, behauptete Maja
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