Blutige Fehde: Thriller (German Edition)
Küche befand. Mühsam kämpfte Lennon sich durch die Menschen, die sich vor der Kasse stauten.
Eine Putzfrau kippte soeben ein mit Resten beladenes Tablett in den Mülleimer, als Lennon und Ellen sich näherten. Dann ließ sie den Deckel fallen und trat beiseite. Lennon trat den Fußhebel nieder, um den Mülleimer zu öffnen. Der Deckel rührte sich nicht. Er versuchte ihn mit der Hand hochzuheben, in der er das Tablett hielt. Der Deckel rührte sich immer noch nicht. Leute drängten sich auf dem Weg zur Kasse an ihm vorbei. Schultern rempelten und stießen ihn, und Lennon verkniff sich einen Fluch. Der Becher rutschte über das Tablett, und er ließ kurz Ellens Hand los, um zu verhindern, dass er umkippte. Endlich bekam er den Deckel des Mülleimers hoch und kippte den Müll hinein. Danachräumte er sein Tablett auf den Stapel daneben und streckte seine Hand nach Ellen aus.
Er griff ins Leere.
Blitzschnell drehte er sich zu der Stelle um, wo Ellen noch vor zwei Sekunden gestanden hatte.
Das Herz rutschte ihm in die Hose.
51
Das Kind kam auf ihn zu. Der Nomade blieb einfach nur an seinem Platz hinter der Trennwand stehen und beobachtete, wie es sich näherte. Schon als die Kleine dem großen Cop gegenübergesessen und ihre Süßigkeiten gekaut hatte, hatte sie ganze Zeit in seine Richtung geschaut. Mehr als einmal hatte er ihrem Blick nicht standhalten können, diesen klugen, wissenden Augen. Beinahe kam es ihm vor, als könnte sie all die hässlichen Teufel sehen, die in seinem Kopf herumtobten und nach einander schnappten.
Und jetzt kam sie, die Puppe baumelte an ihrer Seite. Der nackte Plastikkörper ließ in seinem Kopf den schwachen Widerhall einer längst verschütteten Erinnerung anklingen. Er blinzelte verwirrt und biss sofort die Zähne zusammen, weil ihn ein Schmerz wie von tausend Nadelstichen durchfuhr.
»Hallo«, sagte sie. »Was willst du?«
Der Nomade starrte auf sie hinunter, unschlüssig, was er auf diese Frage antworten sollte. Er schaute hinüber zu dem Cop, der gerade mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht eine Runde drehte.
»Kennst du Gerry?«, fragte das Mädchen.
Der Nomade leckte sich über die Oberlippe. »Ja«, sagte er. Er nahm ihre Hand. »Komm mit.«
Sie waren schon halb die Freitreppe hinunter und drückten sich weiter an Patienten und Personal vorbei, als eine Stimme rief:»Ellen?« Sie klang zaghaft und verängstigt. Falls das Kind sie gehört hatte, reagierte es zumindest nicht darauf.
Der Nomade beschleunigte seinen Schritt und zerrte das Kind an der Hand mit. Rechts von ihnen, gegenüber dem Laden, wo der Nomade die beiden eben erst beobachtet hatte, befand sich der Andachtsraum.
»Ellen!«
Die Stimme war jetzt lauter und hörte sich zwar noch nicht nach Panik an, aber schon nach einem Anflug von Wut.
Das Mädchen wehrte sich und drehte sich zu der Stimme um, die nach ihm rief. Der Nomade packte sie noch fester. Als sie am Informationsschalter vorbeikamen, achtete er im Gedränge auf besorgte Blicke. Niemand nahm von ihnen Notiz, also marschierte er geradewegs auf den Andachtsraum zu und stieß, ohne sich um den auflodernden Schmerz zu scheren, mit der Schulter die Tür auf. Drinnen war das Licht gedämpft, und der ganze Raum schien zur Stille zu gemahnen, obwohl er selbst und das Kind hier die einzigen waren. Die Tür schwang wieder zu, und sie waren verborgen.
Ellen versuchte sich loszureißen, aber er hielt sie fest. Selbst seine eigenen Atemgeräusche kamen ihm an diesem schummrigen, stillen Ort fremd vor. Jetzt dämmerte ihm, dass er keine Ahnung hatte, was er als Nächstes tun sollte.
Schweiß kitzelte auf seiner Haut. Er musste schlucken, weil plötzlich sein Mund trocken war. Das Kind war zu ihm gekommen, es hatte ihn ganz bewusst gesucht. Wie dämlich! Er war in seinem ganzen Leben nie dämlich gewesen, das konnte er sich gar nicht leisten. Tollkühn vielleicht, aber nie dämlich. Jedenfalls nicht so wie diesmal. Und das alles nur, weil ein kleines Mädchen zu ihm gekommen war.
Ein irrer, furchtbarer Gedanke schoss ihm in den Kopf und nistete sich dort ein, so klar und kompromisslos, wie es nur dieWahrheit vermochte. Der Nomade starrte auf das Kind hinab. Es lächelte zu ihm hoch, und dann gab es keinen Zweifel mehr.
Nicht er hatte sie gefangen.
Sie hatte ihn gefangen.
52
Obwohl ihm speiübel war und er am ganzen Leib zitterte, kämpfte Lennon gegen seine Panik an und zwang sich, die Ruhe zu bewahren. Er drehte eine weitere Runde und achtete dabei auf
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