Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
geschlossenen Psychiatrie verlegt.
Der Pfleger, den ich sprach, sah ziemlich angeschlagen aus und hatte einen starken Ausschlag im Gesicht.
»Wir mussten ihm gestern Abend eine Megadosis Risperidon verpassen«, gab er zu.
»Aber kommt er damit zurecht?«
»Wir hatten keine andere Wahl, der Typ ist völlig durchgedreht. Nachher guckt der Chef ihn sich persönlich an.«
Ich beneidete den Jungen nicht um seinen Job. Im Umgang mit Patienten mit akuten psychischen Erkrankungen stehen die Schwestern und Pfleger immer an vorderster Front, und es ist das reinste Wunder, dass nicht mehr von ihnen früher oder später selbst durchdrehen. Ich blickte durch die Klappe in der Tür von Darrens Zimmer. Er lag auf seinem Bett, hielt mühsam die Augen auf und starrte trübe auf den Fernseher. Ich hatte Risperidon immer schon gehasst. Denn zwar unterdrückt es die Symptome einer Paranoia, doch sobald man die Tabletten nicht mehr nimmt, kehren sie mit aller Macht zurück. Auch die Nebenwirkungen dieses Medikaments – eine verwaschene Sprache, Nierenprobleme, bohrende Kopfschmerzen – sind alles andere als amüsant. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und beschloss, noch mal zurückzukommen, wenn der Chefpsychiater bei Darren gewesen war.
Den Nachmittag hatte ich für die Arbeit an dem Vortrag, den ich auf der Konferenz des Psychologenverbands halten sollte, vorgesehen, aber meine Klimaanlage hustete inzwischen derart bellend, dass man hätte meinen können, sie litt an chronischem Asthma. Deshalb gab ich meine Bemühungen bereits nach wenigen Minuten wieder auf, griff nach meinem Telefon und wählte die Nummer von Don Burns.
»Und, haben Sie schon irgendwelche Fortschritte erzielt?«
»Es sieht so aus, als wollte Morgan langsam auspacken. Können Sie vielleicht vorbeikommen?«
»Bin schon unterwegs.«
Taylor war der Erste, den ich auf der Wache sah. Zur Abwechslung jedoch hatte er mal nicht sein selbstzufriedenes Grinsen im Gesicht. Vielleicht machte es ihn traurig, dass der unkonventionellen Vorgehensweise seines neuen Bosses mehr Erfolg als seiner eigenen Strategie beschieden war. Morgan hatte erst etwas gesagt, nachdem der aggressive Taylor abgezogen worden war, doch das angestrengt ruhige Gespräch mit dem Verdächtigen hatte eindeutig auch an Burns’ Nerven gezehrt. Er sprach in dem kontrollierten, gleichförmigen Ton von jemandem, der mühsam um Beherrschung rang.
»Vor Gericht soll niemand sagen können, dass der Kerl zu irgendeiner Aussage gezwungen worden ist. Deshalb müssen Sie ein wasserdichtes Gutachten erstellen.«
Er registrierte nicht mal, dass ich nickte, und auch ohne dass er es mir extra sagte, wusste ich, in dem Bericht, den ich für ihn erstellen sollte, käme es auf jede Wendung an. Ich müsste mich für jeden Satz verbürgen, falls es zur Verhandlung kam und Morgan auf verminderte Schuldfähigkeit plädierte. Denn vor allem im Falle eines Schuldspruchs würde sicher jedes Wort von mir in den Boulevardzeitungen abgedruckt.
Als Morgan den Vernehmungsraum betrat, sah ich ihm deutlich an, dass er kurz vor dem Zusammenbrechen war. Er war so blass, als hätte die Nacht in der Zelle seine Sonnenbräune ausgebleicht. Sein Anwalt sah so ausgemergelt aus, als befände er sich aus lauter Solidarität mit ihm im Hungerstreik.
Kaum hatte Burns den Knopf des Aufnahmegeräts gedrückt, fing Morgan an zu reden.
»Sie hatte ein Verhältnis«, meinte er in einem rauen Flüsterton, als hätte das fortgesetzte Schweigen seine Stimmbänder geschwächt. »Als ich sie darauf angesprochen habe, hat sie nur gelacht.«
»Wer war der andere Kerl?« Burns bedachte ihn mit einem mitfühlenden Blick.
»Was weiß ich? Aber geleugnet hat sie’s nicht. Sie hat nur gesagt, ich solle nicht so klammern.« Morgan verzog angewidert das Gesicht.
»Unglaublich«, meinte Burns. »Wie haben Sie darauf reagiert?«
»Ich bin total ausgeflippt«, räumte er mit einem unfreiwilligen Schulterzucken ein.
Auch Burns senkte die Stimme, als tausche er sich über einem Bier mit einem Freund über Probleme aus. »Es wird vor Gericht zu Ihren Gunsten sprechen, dass Sie sich uns öffnen. Für mich klingt’s so, als wären Sie nicht grundlos ausgeflippt. Jetzt erzählen Sie uns in Ruhe, was geschehen ist.«
»Ich habe von den Bildern gelesen, die der Angel Killer an den Tatorten zurückgelassen hat, und irgendwie ging mir dieser Gedanke nicht mehr aus dem Kopf.« Morgans Stimme brach, als steckten all die Worte, die er in der letzten Zeit
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