Blutiger Engel: Thriller (Ein Alice-Quentin-Thriller) (German Edition)
Wand, als wäre das gewaltsame Zurechtklopfen seiner Gedanken deutlich effektiver als die Medizin, die man ihm gab. Gleichzeitig bemühten sich zwei Pfleger, ihn dazu zu bringen, wieder in dem Rollstuhl Platz zu nehmen, aus dem er anscheinend aufgestanden war.
Als Darren mich erblickte, huschte ein glückliches Lächeln über sein Gesicht. Er saß aufrecht in seinem Bett und hatte seine Hände derart fest verschränkt, als hielte er etwas sehr Kostbares darin versteckt. Hari nahm er gar nicht wahr.
»Ich wusste, dass Sie kommen würden«, stieß er heiser aus.
»Wie fühlen Sie sich, junger Mann?« Hari lächelte ihn freundlich an, doch Darrens Blick klebte auch weiterhin an mir.
»Jetzt ergibt das alles einen Sinn. Kann ich hier bald wieder raus?«
»Erst mal nicht. Erst müssen wir Sie noch begutachten. Was wissen Sie noch von den letzten Wochen?«
»Alles.« Darren starrte mich noch immer an.
»Sie haben mich verfolgt, Darren. Wissen Sie das noch?«
»Dabei ging es nicht um mich, sondern um Sie.« Von dem Risperidon hatte seine Stimme einen leicht verwaschenen Klang. Trotzdem war ihm deutlich anzuhören, wie ernst es ihm mit dieser Antwort war.
»Das denken Sie wirklich, oder?«
»Eines Tages werden Sie verstehen.« Er tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Schläfe und blickte mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Ich habe das zweite Gesicht. Das hatte meine Mutter auch. Jemand muss auf Sie aufpassen.«
Haris Lächeln war verblasst, als er hinter mir den Raum verließ.
»Es sieht nicht gut aus«, sagte ich.
»Das würde ich nicht sagen.« Er fuhr nachdenklich mit einer Hand durch seinen Bart. »Er ist ruhiger als bei dem Termin mit mir.«
»Er ist schizophren und hat gerade einen akuten Schub, nicht wahr?«
»Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Ich führe nachher erst einmal den Sprachkompetenz- und Stresstest mit ihm durch.« Hari sah mich an. »Entspann dich, Alice. Darren wurde zwangsweise zur Überprüfung eingewiesen und geht in den nächsten achtundzwanzig Tagen erst mal nirgendwo mehr hin.«
Sofort danach begann die Fallbesprechung, und während Hari mit dem Leiter der Abteilung über die Behandlung des Patienten sprach, rief ich mir die Statistik in Erinnerung. Der Anteil an paranoiden Schizophrenen, der Gewalttaten verübte, betrug weniger als drei Prozent. Außerdem hatte ich selber im Verlauf der Jahre zahlreiche Patienten und Patientinnen mit diesem Krankheitsbild gehabt, und die meisten hatten wie wir anderen auch stabile Beziehungen und feste Jobs. Trotzdem dachte ich unweigerlich auch an den Mann, der während meiner Ausbildung Patient in unserer Psychiatrie gewesen war. Er hatte sich geweigert, die verschriebenen Medikamente einzunehmen, und sich in den Wahn gesteigert, dass es eine weltweite Verschwörung gab mit dem Ziel seiner Ermordung. Am Schluss war er mit einem Messer auf ein Mädchen in der U-Bahn losgegangen, weil er davon überzeugt gewesen war, dass sie telepathische Signale an ihn schickte, die ihn dazu bringen sollten, Selbstmord zu begehen.
Schließlich aber klinkte ich mich wieder in die Unterhaltung ein. Der Leiter der Abteilung wollte Darren frühestens wieder gehen lassen, wenn die Wahnvorstellungen unter Kontrolle waren. Bis er das Krankenhaus wieder verlassen dürfte, hätte ich also tatsächlich mindestens vier Wochen Zeit.
Auch nach diesem Gespräch blieb mir keine Zeit, um über Andrew nachzudenken oder wenigstens die Nachrichten zu lesen, die ich im Verlauf des Arbeitstags von ihm geschickt bekam. Ich hatte den Klingelton von meinem Handy abgestellt, konnte seine Vibrationen jedoch regelmäßig in der Hosentasche spüren. Aber mit drei Erstgesprächen mit neu überwiesenen Patienten, jeder Menge anderer Termine und dem Schreibkram, den ich abarbeiten wollte, um nach Feierabend wirklich völlig frei zu haben, hatte ich bis sechs Uhr abends alle Hände voll zu tun.
Ich wollte gerade gehen, als das Telefon auf meinem Schreibtisch schrillte und zu meiner Überraschung Lorraine Brotherton in nüchternem, geschäftsmäßigem Ton um mein sofortiges Erscheinen bat.
»Wissen Sie, wo die Lombard Street ist, Dr. Quentin? Vielleicht hätten Sie ja eine Stunde Zeit.«
Leicht erbost legte ich wieder auf. Sie hatte nicht gesagt, worum es ging, doch allzu wichtig konnte es nicht sein, und langsam bedauerte ich, dass ich mich von Burns hatte überreden lassen, bei der Jagd auf ihren Mörder mit von der Partie zu sein. Seit der Festnahme von Liam Morgan kamen die
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