Blutiger Klee: Roman (German Edition)
die
Wohnung einer Jägerstochter war. Und ziemlich cool. Am Ende der Wand schwang sich
eine Treppe hinauf ins Dachgeschoss, die so luftig wirkte wie ein Mobile aus weißem
Draht.
Vor ihnen
ging der Raum in eine Terrasse über, die Glastüren waren zur Seite geschoben, der
Himmel draußen schimmerte dunstig wie über dem Meer, erst hinter dem gegenüberliegenden
Salzachufer ragten die Berge auf. Schilf wuchs aus einem blauen Keramiktopf, ein
cremeweißer Sonnenschirm knatterte leise im Wind. Darunter stand ein Liegestuhl,
auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag.
»Schön haben
Sie es hier«, sagte Pestallozzi.
Henriette
Gleinegg machte eine nachlässige Bewegung, Pestallozzi nahm es ihr nicht krumm.
Man konnte sich an allem Schönen sattsehen, an allem Überfluss sattessen. Diese
Frau war immerhin nicht ganz so arrogant, wie er es insgeheim erwartet hatte. Sie
nahmen auf der Ledergarnitur Platz, ihre Gastgeberin blieb stehen.
»Sie trinken
doch einen Espresso?«
»Gerne«,
sagte Pestallozzi. Leo sah beleidigt drein. Immer wandten sich alle an den Chef,
nie wurde er extra gefragt. Andererseits, was hätte er sonst sagen sollen? Einen
Kakao, vielleicht?
Henriette
Gleinegg ging zur Küchenzeile und begann an der Nespresso-Maschine zu hantieren.
Es zischte und sprudelte, Porzellan klirrte, dann kam sie mit einem Tablett zurück.
»Den Valentin habe ich weggeschickt.«
»Ihren …?«
Sie ließ
ein Geräusch wie ein heiseres Schnauben hören und stellte die Tassen und eine Schale
mit Würfelzucker auf den Tisch.
»Mein Faktotum,
sozusagen. Mein Mädchen für alles. Bloß, mit Mädchen habe ich keine allzu guten
Erfahrungen gemacht. Die zicken herum und haben ständig Liebeskummer und tragen
heimlich meine Kleider. Das kann mir mit dem Valentin nicht passieren. Na ja, hoffe
ich wenigstens.«
Sie lachte
wieder, ihre Stimme klang nach einer Packung Zigaretten täglich, mindestens. Leo
ließ drei Stück Zucker in seinen Kaffee plumpsen, dann blickte er sich fragend um.
Und wo waren die Löffel, bitte schön? Aber niemand nahm das Problem zur Kenntnis.
Pestallozzi trank seinen Espresso ungerührt schwarz und bitter, und diese Gleinegg
zündete sich gerade eine Zigarette an, mit einem Tischfeuerzeug aus jadegrünem Stein,
so groß und kantig und schwer, dass man einem Neandertaler den Schädel damit hätte
einschlagen können. Diese kleine Beobachtung musste er sich merken. Gut gemacht,
Leo, auch wenn dich sonst keiner lobt.
»Sie wissen,
warum wir da sind«, sagte der Chef gerade. »Und es ist wirklich sehr freundlich
von Ihnen, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. In dieser Situation,
die bestimmt nicht leicht ist für Sie und Ihre Familie.«
Sie nahm
einen tiefen Zug und blies den Rauch durch die Nasenlöcher wieder aus, Leo beobachtete
sie widerwillig fasziniert. Eine Frau, die rauchte, würde er nie küssen.
»Die Situation
war nie leicht«, sagte sie. Sie sah Pestallozzi so forschend und nachdenklich an,
als ob sie erst eine Entscheidung fällen müsste.
Und darum
geht es ja wohl auch, dachte Pestallozzi. Wie viel soll sie mir erzählen? Er hielt
still und ließ den Blick der Frau über sein Gesicht wandern. Sie nahm einen Schluck
vom Kaffee und sah ihn wieder an.
»Ich lese
ganz gerne Krimis«, sagte sie und deutete mit dem Kinn zur Terrasse, wo das aufgeschlagene
Buch auf dem Liegestuhl lag. »Und ich habe sehr viele Gespräche mit einem Freund
geführt, der Psychiater ist. Obwohl ich nicht in Analyse bin, um das klarzustellen.
Außerdem habe ich seit Jahren mit Reportern zu tun, die in meinem Privatleben herumschnüffeln.
Jedenfalls habe ich gelernt, dass es einfach lächerlich ist, Dinge verschweigen
zu wollen, die sowieso irgendwann ans Licht kommen. Ich habe also nicht die Absicht,
hier zu sitzen und Sie mit Floskeln abzufertigen, Herr …«
»Pestallozzi.«
»Herr Pestallozzi.
Stellen Sie Ihre Fragen, und ich werde antworten.«
Aber hallo,
dachte Leo. Ganz schön kess, die Tante. War das jetzt ehrlich gemeint oder bloß
Show? Na, der Chef würde das schon herausfinden.
»Sie überraschen
mich!«, sagte Pestallozzi und lächelte die Frau im Kaftan an, die lächelte zurück.
Es schien, als ob sie sich alle drei einen Moment lang entspannten, Henriette Gleinegg
lehnte sich lässig in die Polster zurück und zog ein Bein auf das Sofa.
»Pestallozzi,
sagen Sie?« Die Frau, die sie doch befragen wollten, die sich aber viel mehr wie
eine nonchalante Gastgeberin verhielt, betrachtete den Chef
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