Blutnetz
Postschiff der Compagnie Generale Transatlantique nach New York unterwegs. Sie können ihn aus dem Verkehr ziehen, sobald das Schiff an Pier 42 anlegt. Ist Ihnen das klar?«
Bell öffnete den Umschlag und blätterte die darin enthaltenen Fotos durch.
Abbington-Westlake fragte ungehalten: »Langweile ich Sie, Mr Bell?«
»Ganz und gar nicht, Commander. Ich habe selten eine spannendere Räuberpistole gehört.«
»Räuberpistole? Sehen Sie ...«
Bell schob ein Foto über den Tisch. »Da hätten wir einen Schnappschuss von Ihnen und Lady Fiona und dem Brooklyn Navy Yard - Vorsicht, das Papier ist noch feucht.«
Der Engländer seufzte leidend. »Sie machen mir überdeutlich klar, dass ich Ihnen ausgeliefert bin.«
»Wer ist Yamamoto Kenta?«
Bell setzte darauf, dass, im Gegensatz zu Bankräubern und Trickbetrügern, Spione, die während des internationalen Wettrüstens der verschiedenen Kriegsmarinen tätig waren, ihre jeweiligen Konkurrenten und Mitstreiter kannten. Und nun sah er sofort, dass er richtig vermutet hatte. Selbst im gedämpften Licht blitzten Abbington-Westlakes Augen plötzlich auf, als eröffnete sich ihm unvermittelt ein Ausweg aus der Klemme, in der er steckte.
»Vorsicht!«, warnte Bell. »Nur eine einzige Andeutung von Flunkerei, und dieses Foto geht an diesen Gentleman vom Secret Service zusammen mit Kopien an die britische Botschaft und den Geheimdienst der US Navy. Haben wir uns verstanden?«
»Ja.«
»Was wissen Sie von ihm?«
»Yamamoto Kenta ist ein hochdekorierter japanischer Spion. Er ist bereits seit einer Ewigkeit im Geschäft. Und er ist die Nummer eins der Gen’yŏsha, die Japans Interessen in Übersee vertritt. Er war im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass die Japaner die russische Asienflotte infiltrierten, und hat entscheidend daran mitgewirkt, dass die Japaner Port Arthur besetzten. Nach dem Krieg operierte er in Europa und hat die Engländer und die Deutschen mit ihren Anstrengungen, ihre Fortschritte im Schiffsbau geheim zu halten, zum Gespött gemacht. Er weiß mehr über Krupp als der Kaiser und kennt die HMS Dreadnought besser als ihr eigener Kapitän.«
»Was tut er hier?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Commander«, sagte Bell warnend.
»Ich weiß es nicht. Ich schwöre, ich habe wirklich keinen Schimmer. Aber eins kann ich sagen.«
»Hoffentlich etwas Interessantes.«
»Es ist sogar sehr interessant«, erwiderte Abbington-Westlake selbstbewusst. »Und zwar ist es deshalb sehr interessant, weil es absolut keinen Sinn ergibt, dass ein japanischer Spion vom Kaliber Yamamoto Kentas hier in den Vereinigten Staaten operiert.«
»Warum?«
»Die Japaner wollen keinen Krieg gegen Sie führen. Nicht jetzt zumindest. Sie sind noch nicht so weit. Obgleich sie wissen, dass auch die Amerikaner nicht bereit sind. Man braucht kein seemännisches Genie zu sein, um zu erkennen, dass die Große Weiße Flotte ein schwimmender Witz ist. Aber sie wissen verdammt genau, dass ihre eigene Flotte nicht viel besser ist und es noch für viele, viele Jahre nicht sein wird.«
»Warum ist Yamamoto Kenta dann hierhergekommen?«
»Ich vermute, dass er ein Doppelspiel treibt.«
Bell starrte den Engländer an. Der verwirrte Ausdruck in seinem Gesicht war absolut echt. »Wie meinen Sie das?«
»Yamamoto Kenta arbeitet für jemand anderen.«
»Sie meinen, für jemand anderen als die Gen’yŏsha oder die Black Ocean Society, wie wir sie nennen?«
»Genau.«
»Und für wen?«
»Da bin ich überfragt. Auf jeden Fall nicht für Japan.«
»Wenn Sie nicht wissen, für wen er arbeitet, wie können Sie dann so sicher sein, dass es jemand anders ist als die Japaner?« »Weil Yamamoto Kenta Informationen von mir kaufen wollte.«
»Welche Informationen?«
»Er vermutete, dass ich irgendetwas über den neuen französischen Dreadnought weiß. Er bot mir ein hübsches Sümmchen an. Geld war offensichtlich kein Problem.«
»Und hatten Sie Informationen?«
»Das ist jetzt nicht wichtig«, antwortete Abbington-Westlake ausweichend. »Der Punkt ist vielmehr, dass die Froschfresser den Japanern völlig egal sind. Die französische Marine kann nicht im Pazifik kämpfen. Sie kann ja noch nicht einmal die Bucht von Biscaya richtig schützen.«
»Wofür wollte er die Informationen denn haben?«
»Das ist der springende Punkt. Und den kann ich Ihnen nennen: Yamamoto Kenta wollte sie jemandem verkaufen, der sich für die Franzosen interessiert.«
»Wer könnte das sein?«
»Nun, wer sonst als die
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