Blutnetz
Deutschen?«
Lange studierte Bell das Gesicht des Engländers. Dann beugte er sich vor und sagte: »Commander, mir wird allmählich klar, dass Sie hinter Ihrer Passade liebenswürdiger Tollpatschigkeit über Ihre spionierenden Kollegen verdammt gut informiert sind. Tatsächlich vermute ich sogar, dass Sie besser über sie Bescheid wissen als über die Schiffe, die Sie ausspionieren sollen.«
»Willkommen in der Welt der Spionage, Mr Bell«, erwiderte der Engländer spöttisch. »Darf ich der Erste sein, der Sie zu Ihrer erfolgreichen Ankunft beglückwünscht?«
»Welche Deutschen?«, fragte Bell knapp.
»Na ja, genau kann ich Ihnen das nicht beantworten, aber ...«
»Ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass die Deutschen Yamamoto Kenta dafür bezahlen, dass er für sie spioniert«, unterbrach ihn Bell. »Wen haben Sie wirklich im Verdacht?«
Abbington-Westlake schüttelte den Kopf. Er war offensichtlich bestürzt und ratlos zugleich. »Niemand, von dem ich je gehört hätte - also keiner von den Leuten, die einem immer mal wieder über den Weg laufen ... Es ist fast so, als wäre der Schwarze Ritter wie aus dem Nichts erschienen und hätte seinen Fehdehandschuh mitten in König Artus´ Tafelrunde geworfen.«
»Also ein Unabhängiger, der mit Informationen handelt«, sagte Bell nachdenklich.
28
»Ein freier Agent - oder nennen Sie es ein Ein-Mann-Unternehmen - in der Tat, Mr Bell. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber aus der Möglichkeit, dass wir es mit einem Informationshändler zu tun haben, ergibt sich eine wesentlich wichtigere Frage.« Abbington-Westlakes rundes Gesicht leuchtete geradezu vor Erleichterung darüber, dass er das Interesse Beils derart geweckt hatte. So ließe ihn der Detektiv Sicherlich laufen. »An wen liefert der Händler?«
»Werden solche Leute des Öfteren im Spionagegewerbe eingesetzt?«, fragte Bell.
»Man bedient sich gewöhnlich aus allen verfügbaren Quellen.«
»Haben Sie auch schon mal als freier Agent gearbeitet, der sein Wissen an den Meistbietenden verschachert?«
Abbington-Westlake lächelte herablassend. »Die Royal Navy heuert gelegentlich solche Leute an. Aber wir arbeiten nicht für sie.«
»Ich meine Sie persönlich - wenn Sie Geld gebraucht haben.«
»Ich arbeite für die Marine Ihrer Majestät. Ich bin kein Söldner.« Er stand auf. »Und jetzt, Mr Bell, müssen Sie mich entschuldigen. Ich glaube, ich habe mich für das Foto angemessen revanchiert. Einverstanden?«
»Einverstanden«, antwortete Bell.
»Dann guten Tag, Sir.«
»Eins noch, ehe Sie gehen, Commander.«
»Und das wäre?«
»Sie haben mich in meiner Funktion als privater Ermittler kennengelernt. Als Amerikaner muss ich Sie jedoch warnen: Falls ich noch einmal sehen oder hören sollte, dass Sie irgendwelche Fotos vom Brooklyn Navy Yard oder irgendeiner anderen Marinewerft in meinem Land schießen, werde ich Ihre Kamera von der nächsten Brücke werfen und Sie gleich hinterher.«
Isaac Bell begab sich eilends nach oben in die Van Dorn Agency. Der Fall nahm immer größere Dimensionen an. Wenn Abbington-Westlake die Wahrheit sagte - und Bell war sicher, dass er es tat -, dann war Yamamoto Kenta nicht der Kopf des Spionagerings, der Hull 44 im Visier hatte, sondern nur einer seiner zahlreichen Agenten. Wie der Deutsche und der Auftragsmörder Weeks und jener, der ... wer immer es gewesen sein mochte, der den jungen Geschützexperten von der Felswand in den Abgrund gestoßen hatte. Wer war dieser freie, unabhängige Spion? Und in wessen Auftrag arbeitete er?
Bell wusste, dass er sich an einer Art Scheideweg befand. Entweder verhaftete er Yamamoto Kenta und versuchte, so viele Informationen wie möglich aus ihm herauszuholen, oder er folgte ihm in der Hoffnung, dass der japanische Spion ihn zu seinen Auftraggebern führte. Hier abzuwarten war nicht ohne Risiko. Wie lange würde es dauern, bis ein erfahrener Profi wie Yamamoto Kenta von seinen Verfolgern Wind bekam und in der Versenkung verschwand?
Während Bell die Einsatzzentrale der Agentur betrat, sagte der Mann, der die Telefone bediente: »Er ist gerade hereingekommen, Sir«, und reichte Bell den Hörer des mittleren Telefons. »Der Boss.«
»Wo?«
»In Washington.«
»Yamamoto Kenta ist soeben in den Zug nach New York gestiegen«, meldete Van Dorn ohne Einleitung. »Er ist zu Ihnen unterwegs.«
»Allein?«
»Nicht, wenn Sie drei von unseren Männern im selben Waggon mitzählen. Und noch andere, die jeden Bahnhof
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