Blutrausch
ungefähr einem Jahr. Na ja, vielleicht nicht ganz so lange.
– Und wie lief das ab?
Seine Jacke hat er vorhin ausgezogen, trägt aber immer noch die Russenmütze. Jetzt nimmt er sie ab, setzt sie Poncho auf und stupst sie an, worauf sie ihr die Nase runterrutscht.
– Tja, so genau kann ich dir das nicht sagen.
– Wieso nicht?
Er befreit das grinsende Mädchen von der übergroßen Mütze.
– Ich war stockbesoffen.
– Erzähl mir einfach, was du noch weißt.
Er wirft die Mütze auf die Couch.
– Darüber wolltest du mit mir reden? Über meine Lebensgeschichte?
– Ich will nur wissen, mit wem ich’s zu tun habe.
– Über dich weiß ich auch nicht allzu viel.
– Ich dachte, ich hätte einen gewissen Ruf.
– Einen Ruf. Klar.
– Was für einen Ruf?
– Kommt drauf an, wen man fragt. Die Leute auf der Straße und in den Kneipen sagen, man soll sich nach Möglichkeit von dir fernhalten. Andererseits hört man auch, dass du der richtige Mann bist, wenn jemand tief in der Scheiße steckt. Dass du manche Sachen ziemlich gut aus der Welt schaffen kannst. Aber...
Er kichert.
– Das ist natürlich nicht das, was Tom Nolan über dich erzählt.
Ich atme Rauch aus.
– Was hat der denn damit zu tun?
– Tom? Er ist mein Mentor.
Zöpfchen und Schneewittchen, die in der Küche mit irgendwas beschäftigt waren, kommen mit einem angeschlagenen Silbertablett an. Darauf steht eine ebenso angeschlagene Kaffeekanne und mehrere, nicht zusammengehörige Porzellantassen. Sie stellen es auf den Boden und fangen an, die Tassen aufzufüllen.
– Also gehörst du zu Tom?
– Du hast mich nach meiner Geschichte gefragt. Tom ist derjenige, der mir Zugang zur Society verschafft hat. Er hat mich nicht infiziert, aber er hat mich gefunden, nachdem ich angezapft worden war. Das war in der Mercury Lounge. Ich war stocksteif von dem ganzen Hennessy mit Cola, bin rausgegangen, rumgetorkelt und wurde prompt von einem Blutsauger angefallen. Tom hat mich gefunden. Er hat mich an einen sicheren Ort gebracht, wieder aufgepäppelt und mich ins Bild gesetzt. Hat mir das Leben gerettet.
– Ein wahrer Held.
Er schüttet Zucker in seinen Kaffee.
– Na ja, jetzt wollen wir mal nicht übertreiben. Klar, durch ihn bin ich in die Society aufgenommen worden, und ich steh wirklich in seiner Schuld. Aber der Typ ist irgendwie so verklemmt.
– Weil er ein Arschloch ist.
Er schüttelt den Kopf.
– Weiß nicht. Ich bin noch nicht lange genug dabei, um mir ein Urteil über Typen erlauben zu können, die schon jahrelang die Drecksarbeit erledigen.
Zöpfchen kriecht mit Tasse und Kaffeekanne zu mir rüber.
– Kaffee?
– Klar.
Sie füllt meine Tasse.
– Milch und Zucker?
– Nein, danke.
Sie bleibt mit der Kaffeekanne vor mir knien.
– Bist du wirklich Joe Pitt?
– Ja.
– Komisch.
– Wieso?
– Ich hab dich immer für jünger gehalten.
– Tja, tut mir leid.
Sie bläst gegen eine Haarsträhne, die sich aus einem ihrer Zöpfe gelöst und ihr vor die Augen gefallen ist.
– Ist schon okay. Find dich trotzdem geil.
Ich nehme einen Schluck Kaffee.
Poncho beugt sich vor und steckt einen Zeigefinger in den Bund von Zöpfchens Rock.
– Mach mal halblang. Der Mann hat keinen Bock auf deine Spielchen.
Zöpfchen rutscht von mir weg und grinst mich an.
– Werden wir ja sehen. Er kann jederzeit mit mir spielen, wenn er will.
Sie stellt die Kaffeekanne auf das Tablett und flüstert Schneewittchen etwas ins Ohr. Die beiden kichern, rennen ins Badezimmer und schließen die Tür hinter sich.
Der Graf wedelt mit der Hand abfällig in ihre Richtung.
– Tut mir leid.
– Kein Problem. Also. Tom hat dich gefunden.
– Gefunden, ausgebildet, unterstützt und ein Mitglied der Society aus mir gemacht.
– Aber du gehörst nicht zu ihm?
Er trinkt seinen Kaffee aus und nimmt eine von Ponchos Zigaretten entgegen.
– Bruder, was willst du hören? Dass Tom mein Kumpel ist? Hab ich dir doch schon gesagt, ist er nicht. Bin ich einer von seinen Partisanen? Nein. Befehle erteilen ist nicht mein Ding. Wenn’s eine Ratsversammlung gibt, gebe ich Tom dann meine Stimme? Jawohl, das tu ich. Hat er auch verdient, nach allem, was er für mich getan hat. Wenn er Geld braucht, bin ich dann bereit, dem Clan eine milde Spende zu geben? Klar. Kann ich mir ja auch leisten. Darf er in meiner Bude auf meinem Lieblingssessel sitzen, während ihm meine Ladies Kaffee kochen? Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr von meinen Ladies verlangen?
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