Blutrausch
irgendeine Ahnung, wie ich an die Connection rankomme?
Sein Blick wandert von seinem Handgelenk zu meinen Augen.
– Hey, ich war echt freundlich zu dir und alles, oder? Macht’s dir was aus?
Ich nehme meine Hand weg.
Er nickt und grinst wieder.
– Danke. Also alles, was ich gehört habe, ist, dass das Zeug aus Uptown kommt.
Ich stehe auf, schlüpfe in meine Jacke und halte mit einem Mal inne.
– Uptown? Von der Koalition?
Er schüttelt den Kopf.
– Nein, nein. Noch weiter oben. Jenseits der 110th, Bruder. Der Hood. So, mehr weiß ich nicht. Du kannst bleiben oder gehen, ich dröhn mir jetzt die Birne zu.
Er steckt die Nadel in die Vene, drückt auf die Spritze und nimmt den Plastikschlauch von seinem Arm. Noch bevor er die Nadel herausziehen kann, ist er auch schon weg.
Schneewittchen kriecht zu ihm hinüber und erledigt das mit der Spritze für ihn. Sie lehnt ihren Kopf gegen seinen Oberschenkel und hält mir die Spritze hin.
– Mach’s mir noch mal.
Ich gehe aus der Tür.
Der einfachste Weg, seinem Leben ein Ende zu setzen, ist, sein Territorium zu verlassen. Sobald du in einer Gegend bist, in der du dich nicht auskennst, kannst du genauso gut einmal quer durch den Amazonasdschungel spazieren. Wenn die Sonne aufgeht, hast du kein schattiges Plätzchen. Wenn der örtliche Clan dich erwischt, und früher oder später tut er das, wird er dich ohne viel Aufhebens ausschalten. Sollte es dir dennoch gelingen, dich irgendwo zu verstecken, musst du irgendwann auf die Suche nach Blut gehen. Und dann wird dich der Clan nicht einfach nur ins Jenseits befördern, er wird dich in der Sonne grillen. Also, verlass niemals deine Nachbarschaft. Wenn du ein Unabhängiger bist, der das große Glück hat, sich mit einem Clan arrangiert zu haben, dann bleib tunlichst auf dessen Territorium.
Jenseits der 110th. Das ist weitab meines Territoriums. Der Hood. Seit meiner Kindheit in der Bronx war ich nicht mehr dort. Also zu einer Zeit, als ich noch ein sogenannter normaler Mensch war.
– Hey, Lydia.
– Pitt?
– Yeah.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
– Woher hast du die Nummer?
– Du hast sie mir gegeben.
– Das ist schon ’ne ganze Weile her.
– Tja, da hab ich wohl Glück gehabt, dass sie noch funktioniert.
– Allerdings.
Ich sitze an meinem Schreibtisch und lasse mein Zippo über der bekritzelten Schreibunterlage kreisen.
– Pitt, bist du noch dran?
– Ja.
Ich ziehe Kreis um Kreis.
– Pitt, du hast mich angerufen.
– Ja, stimmt.
Kreis.
– Wolltest du nur mal Hallo sagen, oder hast du was auf dem Herzen?
Ich halte inne mit dem Zippo.
– Hast du noch Kontakt zur normalen Welt?
Sie grunzt.
– Normal ist nicht so mein Ding.
– Normal nicht im Sinne von sexueller Orientierung. Ich meine Uninfizierte. Wie man hört, trittst du noch immer in der Öffentlichkeit auf.
– Ach ja? Hört man das?
Ich klopfe mit einer Lucky auf meinen Daumennagel.
– Du warst doch mal in der Schwulen- und Lesbenbewegung engagiert.
– Ich habe gegen Intoleranz gekämpft. Das tue ich immer noch.
– Klar. Ich weiß, dass du bei der Society einiges bewirkt hast. Aber in der richtigen Welt, wie sieht’s da aus?
– Ja, ich stehe noch immer in der Öffentlichkeit. Ich und einige andere Mitglieder des Bündnisses der Schwulen, Lesbischen und Anders Orientierten arbeiten in offiziellen Ämtern.
– AIDS?
– Was?
– Arbeitest du auch mit AIDS-Leuten?
– AIDS-Leute?
– Leute, die krank sind. HIV-positiv.
– Ja, ich verteile saubere Spritzen. Und manchmal kläre ich Prostituierte auf.
Vorsichtig balanciere ich die Zigarette auf dem Zippo.
– Willst du auf irgendwas Bestimmtes hinaus, Pitt?
Ich zünde mir die Zigarette an.
– Angenommen, ich hätte einen Freund, der ziemlich krank ist.
– Du hast Freunde?
– Versuch einfach, dir’s vorzustellen, okay?
– Also gut.
– Dieser Freund ist HIV-positiv, die Medikamente helfen nicht mehr, er hat Stress mit der Krankenversicherung und so weiter.
– Okay.
– Was hat er da für Möglichkeiten? Er braucht dringend Medikamente und weiß nicht, woher. Was soll er tun?
– Tja, also da gibt’s so eine Art Online-Tauschbörse. Leute, die ihre Medikamente nicht mehr brauchen oder verständnisvolle Ärzte an der Hand haben, die ihnen Rezepte verschreiben, tauschen dort das Zeug. Testen Sachen aus, die ihnen die Gesundheitsbehörde niemals erlauben würde. Aber das läuft alles ziemlich improvisiert und chaotisch ab.
Ein
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