Blutrausch
ich das wissen. Ich will mich nicht auf dich verlassen, und dann lässt du mich plötzlich im Stich.
Ich klappe den Toilettendeckel herunter und setze mich.
– Verstehe.
– Wirklich? Bist du dir da sicher, Joe? Nachdem du letzte Nacht einfach so sang- und klanglos verschwunden bist, kommen mir doch starke Zweifel.
Ich klopfe auf meine Brusttasche und bemerke, dass ich die Zigaretten unten vergessen habe.
– Ich weiß, was du meinst.
– Dann verrat’s mir, Joe. Verrat mir, was aus uns werden soll. Ich bin krank, so sieht’s aus, und es kann nur noch schlimmer werden. Es muss nicht bis zum Schlimmsten kommen, aber so gut wie jetzt werden wir’s nie wieder haben. Du musst rausfinden, welche Blutgruppe du hast und ob du mir damit helfen kannst. An Tagen wie gestern brauche ich dich. Ich brauche dich einfach. Ach Scheiße, Joe. Ich brauche dich, verstehst du? Du musst für mich da sein.
Sie weint. Sie spricht mit Tränen in der Stimme, aber ihr Ton ist gefasst und ernst. Kein Wunder, inzwischen hat sie ziemlich viel Übung darin, zu reden, während sie weint.
– Ich muss für einige Tage weg. Ein paar Dinge regeln. Ich werde dich nicht anrufen können. Erst wenn ich wieder zurück bin.
Ich taste erneut nach meinen Zigaretten. Sie sind nach wie vor nicht in meiner Tasche.
– Sobald ich zurückkomme, bin ich für dich da.
– Wirklich?
– Versprochen, Baby. Keine Angst. Ich bin praktisch schon auf dem Weg.
– Okay.
– Okay.
– Und Joe? In ein paar Tagen ist Samstag.
– Aha.
– Da nehme ich mir frei für die Lesung. Ich werd ein paar von meinen Sachen im Gemeindezentrum vortragen. Ist so eine Art Wohltätigkeitsveranstaltung.
– Aha.
– Kommst du mit?
– Aber sicher, Baby.
– Es ist mir wirklich wichtig.
– Ich werde kommen.
– Okay. Danke, Joe.
Wir legen noch nicht sofort auf. Erst, als sie nicht mehr weint.
Kurz vor Sonnenuntergang werfe ich einen Blick in den Kühlschrank. Ein Liter. Beim aktuellen Stand meiner Vorräte darf ich nicht mal dran denken, mir heute schon wieder was zu gönnen. Andererseits fahre ich nach Uptown. Könnte länger dauern. Sollte ich die Beutel mitnehmen, nur für den Fall? Oder lieber sofort einen trinken? Dann wäre ich für diese Art von Abenteuer topfit und könnte ohne Weiteres einen Tag länger durchhalten. Beschlossene Sache. Einen Beutel jetzt, einer bleibt im Kühlschrank. Das Schlimmste wäre, nach Hause zu kommen und das verdammte Ding leer vorzufinden. Ich öffne den Kühlschrank, leere einen Beutel und stopfe ihn in den roten Sack.
Okay, ich bin bereit zu gehen. Nur, wohin?
Ich brauche einen Namen. Einen Namen und jemanden, der mich fährt. Ich kann ja schlecht da oben auftauchen und so lange auf offener Straße herumschnüffeln, bis ich die Witterung des Vyrus aufnehme. Oder einen von den Pennern aus dem Hood so lange bearbeiten, bis er irgendetwas Brauchbares ausspuckt. Himmel, allein schon die Tatsache, dass ich weiß bin, wird da oben genug Aufsehen erregen. Ich brauche einen Namen. Irgendwo muss ich anfangen.
Christian könnte jemanden aus dem Hood kennen. Inzwischen überquert er nur noch selten die Houston, aber früher, bevor er infiziert wurde, war die ganze Stadt sein Revier. Er könnte mich in den Hood bringen. Aber auf dem Sozius seiner schweren Harley, begleitet von einem Dutzend durchgeknallter Dusters mit Zylindern auf den Köpfen durch das Gebiet der Koalition zu brettern, ist nicht gerade der unauffällige Auftritt, den ich mir vorstelle. Ein abtrünniger Vampyr-Bikerclan bleibt auf fremdem Territorium ganz bestimmt nicht unbemerkt. Christian kann ich also streichen.
Chubby Freeze könnte mir weiterhelfen. Außerdem ist er der einzige schwarze Bruder, den ich etwas näher kenne, was mir besonders im Hood ziemlich viel nützen könnte. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass Chubby besonders viel Einblick in die Szene hat. Klar, als Pornoproduzent hat er öfter mal mit Typen zu tun, mit denen auch ich mich herumschlagen muss. Aber er gehört nicht zu uns. Seine Kontaktleute haben keinerlei Berührungspunkte mit dem Zirkel, zu dem ich Zugang suche. Und das Transportproblem wird er auch nicht lösen können. Chubby hat keine Ahnung, wie gefährlich der Weg von der 14th bis zur 110th für einen der Unsrigen ist.
Ich habe eigentlich nur eine Möglichkeit, auch wenn ich darum herumschleiche wie die Katze um den heißen Brei. Es gibt nur einen Typen, der mir wirklich helfen kann. Ein Typ, der seine Finger
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