Blutschande
Entlassung zurückkehren konnte.«
Liv dachte einen Moment nach und sah zu Max hinüber, der sich von dem Nachbarn verabschiedete.
»Kannst du die Adresse dieser Firma herausfinden?«, fragte sie dann.
»Kleinen Moment.«
Sie wartete, während Miroslav wieder etwas in seinen Computer eingab.
»Die Firma lag im Hovvej, Nr. 20.«
»Danke.«
Liv steckte das Handy zurück in ihre Jackentasche und sah Max fragend an, der zu ihr gekommen war.
»Mehr war da nicht zu holen«, sagte er und nickte in Richtung der geschlossenen Tür des Nachbarn. »Hast du den Chef erreicht?«
»Ja, er ist mit dem Schlüsseldienst unterwegs.«
»Sollen wir unten im Auto auf ihn warten?«
Liv schüttelte den Kopf.
»Roland kann die Wohnung auch allein auf den Kopf stellen«, sagte sie und ging los.
»Aber …?«
Liv war schon auf der Treppe, als sie rief:
»Jetzt komm schon, wir müssen uns einen pädophilen Kidnapper schnappen.«
5
Die tief stehende Sonne brach durch die Wolken und blendete Liv, als sie unter der Eisenbahnbrücke hindurch Richtung Kløvermarken fuhr. Sie beugte sich zum Handschuhfach und fischte eine Sonnenbrille heraus. Am Anfang des Hovvejs sah sie erst nur ein Neubaugebiet aus lang gestreckten gelblichen Reihenhäusern.
»Kann man da nicht durchfahren?«, fragte Max und zeigte auf die gelben Häuser.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, wirklich. Diesen Teil der Stadt kenne ich überhaupt nicht.
»Ich dachte, du wärst hier aufgewachsen?«
»Schon, aber in diesem Stadtteil kenne ich wirklich so gut wie niemanden.«
Max Motor begann zu lachen.
»Sag mal, hat Espergærde nicht in etwa die Größe einer Walnuss? Wie kann man hier einen Stadtteil nicht kennen?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich bin hier weggezogen, als ich siebzehn war. Bin von zu Hause abgehauen und habe nie wieder einen Blick zurück geworfen. Ich wollte Abstand zu allem schaffen, was hier mit dieser Gegend zu tun hatte. Außerdem gab es damals all die Blocks und Reihenhäuser, die du hier siehst, noch nicht. Hier waren überall nur Felder.«
Max Motor nickte.
»Hm. Dann warst du also einer dieser widerspenstigen Teenager, die aus Protest über den unerhörten Reichtum ihrer Eltern abgehauen sind?«
Liv musste leise lachen, antwortete aber nicht.
»Es muss wirklich furchtbar sein, mit so viel Geld aufzuwachsen, dass man sich nie Sorgen machen muss. Was hat denn das Fass zum Überlaufen gebracht? Wollten sie dir ein Pferd schenken?«
Liv lächelte, sagte aber noch immer nichts.
»Ihr armen Wohlstandskinder«, fuhr er lachend fort.
Liv lachte mit, denn in gewisser Weise hatte er ja recht. Sie hatte sich aus Protest gegen ihre Eltern der autonomen Szene angeschlossen, hatte sich einen grünen Irokesenschnitt verpasst und war in großen, ausgetretenen Militärstiefeln herumgerannt. Das war ihre Art des Aufruhrs gewesen. Und Max hatte recht, ihr Umfeld hatte wirklich aus einem Haufen verwöhnter nordseeländischer Gymnasiasten bestanden, die ein bisschen Spannung suchten.
»Warum bist du dann doch irgendwann zurückgekommen, nachdem du erst alles hinter dir gelassen hattest?«, fragte Max Motor.
Sie näherten sich ihrem Ziel, und Liv blinkte, während sie sich fragte, wie sie seine Neugier zügeln konnte. Tatsache war, dass sie zurückgekommen war, weil ihr Vater wegen Betrugs angeklagt und kurz darauf verurteilt worden war. Eine Weile hatte sie versucht, sich um ihre Mutter zu kümmern, die vollkommen vor die Hunde gegangen war, doch dieses Projekt hatte sie bald aufgeben müssen. All das brauchte Max aber wirklich nicht zu wissen, so dass sie es für sich behielt.
»Im Leben läuft nicht alles so, wie man es geplant hat. Können wir es dabei belassen?«
Sie hielt den Wagen so abrupt an, dass Max auf dem Sitz nach vorn geschleudert wurde, und war aus dem Wagen verschwunden, ehe er weitere Fragen stellen konnte.
Als er ausstieg, stand sie da und betrachtete das Gebäude, vor dem sie standen. »Fahrrad- und Mofafabrik« stand mit großen weißen Lettern auf einem roten Schild. Liv starrte auf ihren Block. Hovvej 25, die Adresse stimmte. Aber keine Spur von VVS World.
Gefolgt von Max ging sie auf das Geschäft zu und erblickte dabei draußen einen Mann etwa Mitte fünfzig, der sich die Finger an einem weißen Lappen abwischte. Er trug einen Overall, und sein Gesicht war verdreckt.
»Liv Moretti, Polizei Nordseeland«, sagte sie und zeigte ihre Marke.
Das Gesicht des Mannes wurde unsicher, und sein Blick begann
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