Blutschande
Matratze, die am Boden lag. Ringsherum standen grüne Bierflaschen, eine leere Flasche billiger Gin und Weinkartons. Auf der Matratze lag ein Mann, der sich wie ein Embryo zusammengekauert hatte.
Schlagartig war Liv wieder zurück in ihrem Elternhaus im Strandvej. Vater war wieder einmal auf Geschäftsreise, und Mutter lag im Schlafzimmer und rief nach ihr.
»Liiiiv. Hol mir bitte meine Pillen. Liiiiv. Ich brauche meine Pillen, ich bin krank.«
In diesen Momenten hatte Liv sich am liebsten in ihrem Zimmer versteckt und die Musik laut aufgedreht. Was nicht immer ging, denn einmal, als sie zwei Freundinnen zu sich nach Hause eingeladen hatte, war ihre Mutter im Pelzmantel, aber ohne Hose, torkelnd bei ihnen aufgetaucht und hatte auf sie eingeredet. Natürlich hatte dieser Auftritt dazu geführt, dass die beiden Freundinnen sie später in der Schule mit spitzen Bemerkungen über ihre Mutter aufzogen, weshalb Liv einer von ihnen einen Kopfstoß verpasst hatte. Anschließend war sie zu einer Standpauke in das Büro des Rektors bestellt worden, doch auch da war es zum Eklat gekommen, denn nachdem seine Sekretärin betont hatte, dass ihr so etwas in ihrer fünfundzwanzigjährigen Karriere noch nie untergekommen sei, hatte Liv nur auf den Teppich gespuckt, war aus dem Büro gestürmt und hatte die Tür hinter sich zugeknallt.
Nach diesem Erlebnis hatte Liv beschlossen, dass sie niemanden außer sich selbst brauchte.
Als Liv und Max den Raum betraten, erkannten sie, dass er einmal als eine Art Büro gedient haben musste. Der beißende Geruch von Alkohol und altem Urin raubte ihnen fast den Atem.
»Hans Schultheiss?«, fragte Max leise.
Der Mann, der vor ihnen lag, schlug die Augen auf und zuckte zusammen. Er kroch in eine Ecke des kleinen Büros und schien nach einem Ausgang zu suchen. Seine blutunterlaufenen Augen starrten Liv und Max an.
»Sind Sie Hans Schultheiss?«, fragte Liv.
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur an.
»Ich habe sie nicht angefasst«, sagte er mit panischer Stimme.
»Das haben wir doch auch gar nicht behauptet. Wir haben Sie nur nach Ihrem Namen gefragt. Sind Sie Hans Schultheiss?«
»Ja, das, was von ihm noch übrig ist.«
Der Mann war offensichtlich betrunken, seine Augen zuckten hin und her. Liv hob eine Bierflasche vom Boden auf, die noch nicht geöffnet worden war und hebelte den Kronenkorken mit einem Feuerzeug ab, das auf der Matratze lag. Dann reichte sie ihm die Flasche. Er nahm sie entgegen, setzte sie an die Lippen und trank, wobei er stöhnend durch die Nase atmete.
Liv zeigte ihm ihren Polizeiausweis.
»Wir kommen von der Polizei. Wir würden gerne mit Ihnen reden. Mehr nicht.«
Der Mann setzte die Flasche ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
»Ich habe sie nicht angefasst, wenn Sie deshalb gekommen sind.«
Liv nickte.
»Okay, aber wir müssen das genau wissen. Wir brauchen Klarheit darüber, was Sie in den letzten zwei Tagen gemacht haben.«
»Ich weiß nichts.«
»Gut, ich denke aber trotzdem, dass Sie mit aufs Präsidium kommen sollten, um uns alles zu erzählen«, sagte Liv und fasste den Mann am Arm. »Wir wollen nur mit Ihnen reden. Sagen Sie uns einfach, dass Sie nichts von der Sache wissen, und wo Sie die letzten Tage waren.«
Als der Mann aufstand, warf er ein paar Bierflaschen um, so dass das Klirren durch das ganze Lager hallte.
»Ich habe nichts getan. Ich kümmere mich nur um meine Sachen«, sagte er und stolperte schwankend vorwärts.
»Haben Sie vor, sich zu Tode zu saufen?«, fragte Max.
Hans drehte sich um und sah ihn an.
»Das geht Sie einen Scheißdreck an. Ich habe mich versteckt, weil ich wusste, dass Leute wie Sie kommen und mein Leben kaputtmachen würden.«
Hans trat einen Schritt vor und richtete einen Zeigefinger auf Max.
»Als ich im Fernsehen gesehen habe, dass dieses Mädchen verschwunden ist, wusste ich, dass Sie mich auf dem Kieker haben würden. Glauben Sie bloß nicht, dass ich so etwas nicht weiß.«
Schultheiss hielt sein Gesicht ganz dicht vor das von Max.
»Immer wenn ein Kind aus einem Kindergarten oder von einem Schulhof verschwindet, denken gleich alle: Wenn sich die mal nicht der Pädo-Hans geholt hat!«
»Das können Sie mir alles im Präsidium erzählen«, sagte Max und schob den Mann durch die Lagerhalle zu Livs Auto.
Sie hatte ein Stück Plastik aus dem Kofferraum geholt und auf den Sitz gelegt, auf den Schultheiss sich setzte. Mehr als einmal hatte sie erlebt, dass Besoffene ihr die
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