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Blutschande

Titel: Blutschande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Therese Philpsen
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stehen und warf einen Blick in eine kleine, gepflasterte Seitengasse mit alten Fachwerkhäusern, die so schief waren, als wollten sie jeden Augenblick einstürzen. Erstaunlich, dass jemand das Risiko einging, in derart alten Kisten zu wohnen, dachte er. Drinnen konnte man sicher nicht einmal aufrecht stehen, jedenfalls nicht, wenn man einigermaßen normal gebaut war. Er wusste natürlich, dass viele Leute diese alten Viertel romantisch fanden. Er selbst konnte ihnen nichts abgewinnen.
    Blumen-, Bier-, Wein- und Käsegeschäfte lagen dicht nebeneinander, doch einen Antiquitätenladen konnte er noch immer nicht finden. Erst als er kehrtmachte und über die Stjernegade bis zur nach rechts abzweigenden Sct. Olai gade ging, fand er einen kleinen Kellerladen. Nachdem er über die drei Stufen nach unten gestiegen war und die Holztür mit der großen Glasscheibe und der geschnitzten Klinke hinter sich gelassen hatte, befand er sich plötzlich in einer Vergangenheit, die ihm fremd war. In einer Welt, in der Menschen wie Benedikte Adelskov und Livs Eltern zu Hause waren, wie er jetzt wusste.
    Und inmitten all der Schatullen, Standuhren und Kommoden aus dem 18. Jahrhundert tat ihm Liv mit einem Mal schrecklich leid. All dieses alte Zeug, dachte er. Es war so dunkel, so düster und entsprach ihr so ganz und gar nicht. Roland schüttelte den Kopf. Was hatte diese Frau nur? Sie irritierte und verunsicherte ihn, trotzdem fühlte er sich aber auch irgendwie zu ihr hingezogen, auch wenn er nicht verstand, warum.
    Ein Mann, der nur unwesentlich älter als Per Roland war, glitt hinter einem Vorhang hervor, der ein Nebenzimmer verdeckte. Er blieb einen Moment stehen und betrachtete seinen Kunden, ehe er mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam.
    »Guten Tag, mein Name ist Simon, was kann ich für Sie tun?«, fragte er mit einem unangenehmen Lächeln.
    »Polizei«, sagte Roland mit langen Stimmbändern und weitem Brustkorb. Als er seinen Ausweis zeigte, legte der Mann die Hand vor den Mund.
    »Oje, oje, was habe ich jetzt wieder angestellt?«, säuselte er, den Zeigefinger vor seinen Kussmund gelegt.
    »Es geht um die hier«, sagte Per Roland, ohne auf den Versuch des Verkäufers einzugehen, lustig zu sein. Er streckte ihm den kleinen wütenden Hund in der durchsichtigen Plastiktüte hin.
    »Oh, das ist schade, dann kann ich Sie also nicht verführen?«
    »Verführen?«
    »Ja, zu einer neuen Esszimmersitzgruppe? Wir haben sie gerade hereinbekommen. Die ist fan-tas-tisch.«
    Der Verkäufer zeigte auf einen ovalen Tisch aus dunklem Holz.
    »Echt Eiche, wunderschön, wenn Sie mich fragen.«
    Roland lächelte müde.
    »Nein, danke. Ich möchte Sie nur bitten, sich einmal diesen Hund anzuschauen. Er ist ein wichtiges Indiz in einer aktuellen Ermittlung.«
    »Sehr gerne, aber dafür müssen Sie ihn schon herausholen.«
    »Herausholen?«
    Simon lächelte und legte den Kopf auf die Seite.
    »Den Hund, Schätzchen.«
    Er zeigte auf die Tüte.
    »Ah ja, natürlich.«
    »Was haben Sie denn gemeint? Also wirklich.«
    »Jetzt reißen Sie sich aber mal zusammen«, sagte Per Roland. Er hätte am liebsten mit der Faust auf den Tisch geschlagen und den Brustkorb aufgeblasen. Stattdessen nahm er den Hund aus der Tüte und stellte ihn mit der männlichsten Bewegung, die ihm möglich war, vor Simon hin.
    Simon holte eine Lupe aus dem Tisch, wie Roland sie nur von Uhrmachern kannte, und studierte lange den kleinen geblümten Hund, der Roland mit hoch erhobener Nase anstarrte. Das Tier sah fast schon höhnisch aus, dachte er mit einem Mal. Nach einer Ewigkeit fragte er ungeduldig und mit tiefer Stimme:
    »Nun, was meinen Sie?«
    Simon hob die Hand, um ihn zu stoppen.
    »Moment noch.«
    Es dauerte tatsächlich noch ein paar Minuten, bis er die Lupe vom Auge nahm und Roland ansah.
    »Ja?«
    »Das ist ein englischer Spaniel. Aus Fayence, vermutlich aus dem letzten Teil des 19. Jahrhunderts, möglicherweise aus Staffordshire«, sagte er affektiert. »Der verwendete Stempel ist sicher bekannt, aber im Moment kann ich ihn nicht zuordnen, der Schriftzug hingegen ist eindeutig: China porcelain .«
    Simon drehte den Hund in der Hand, ehe er wieder zu Roland aufblickte. Dann fragte er lächelnd:
    »Aber wo ist sein Partner?«
    Roland starrte Simon an.
    »Sein Partner?«
    »Ja, sein Gegenstück, wenn Sie so wollen. Diese Hunde sind immer paarweise hergestellt worden, in der englischen Oberklasse sind diese Tierchen sehr populär. In Dänemark sehen wir die nicht so oft.

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