Blutschande
sprechen, und sie nannte wirklich ganz andere Gründe für das Verschwinden des Mädchens.«
»Welche?«
»Sie meinte, man habe sie weggeschickt, weil das Mädchen schwanger war, mit erst dreizehn Jahren. Und sie habe nicht verraten wollen, wer der Vater war.«
Alle am Tisch rissen die Augen auf.
»Waren das nur Gerüchte? Oder wie hat das Orakel das damals erfahren?«, fragte Liv mit der Skepsis der Erfahrung. Sie hatte schon zu viele Geschichten gehört, die weder Hand noch Fuß hatten.
»Das ist ja das Witzige, wenn man bei einer solchen Geschichte überhaupt etwas witzig finden kann.« Svendsen sah in die Runde. »Sie wusste das von ihrer Tochter, die hier in Espergærde Ärztin ist und Katja Adelskov behandelt hat. Sie hat ihrer Mutter die Geschichte erzählt, nachdem das Mädchen verschwunden war. Aus Frustration darüber, dass sie nicht hatte helfen können. Aber sie hatte das Mädchen untersucht und die Schwangerschaft festgestellt.«
»So viel zum Thema Schweigepflicht«, platzte Miroslav hervor.
»Auf jeden Fall hat dieses Orakel sich das nicht einfach nur ausgedacht«, sagte Roland nachdenklich. »Carsten, du folgst dieser Spur und rufst die Ärztin an. Am besten machst du das gleich«, sagte er, und Carsten verschwand mit dem Handy in der Hand.
»Habt ihr noch mehr?«, fragte Roland. »Haben wir die Schwester gefunden? Miroslav?«
»Ich habe mit der Familie in England gesprochen, und die sagen, dass sie seit dem Tod des Vaters niemals mehr jemanden aus dem dänischen Zweig der Familie zu Gesicht bekommen hätten. Sie gehören zu seiner Seite der Familie.«
Liv sah ihn überrascht an.
»Aber das bedeutet dann doch, dass sie nicht bei der Familie in London ist?«
Miroslav nickte, und im gleichen Moment öffnete sich die Tür des Sitzungszimmers.
»Es stimmt.«
Carsten Svendsen trat wieder ein und steckte das Handy in seine Tasche.
»Sie war im vierten Monat schwanger, als die Ärztin sie untersucht hat. Erst wenige Monate zuvor war sie wegen ihrer ersten Menstruation bei ihr gewesen. Sie machte sich Sorgen, weil diese plötzlich ausblieb. Die Ärztin riet zu einer Abtreibung, aber davon wollte die Mutter nichts hören. So etwas tun wir nicht in unserer Familie, soll sie damals in etwa gesagt haben. Danach hat die Ärztin das Mädchen nie mehr gesehen. Es ist ihr nur irgendwann zu Ohren gekommen, dass die Mutter ihre Tochter fortgeschickt haben soll. Wohin, wusste sie aber nicht.«
»Auf jeden Fall nicht zu ihrer Familie nach London«, sagte Miroslav. »Die haben, wie gesagt, keine Ahnung, wo sie sich aufhält.«
»Okay, okay, fassen wir mal kurz zusammen«, sagte Roland und schrieb an die Tafel.
Liv trank einen Schluck Kaffee und fragte sich, wohin man einen schwangeren Teenager schicken würde, wenn man ein Adelskov war.
»Was, wenn sie ermordet worden ist und niemand es entdeckt hat, weil die Familie sie nicht vermisst gemeldet hat?«, fragte Max Motor und erntete Schweigen von der ganzen Gruppe.
»Aber sie haben doch einen Brief von ihr bekommen, und die Mutter behauptet zu wissen, dass ihre Tochter am Leben ist«, antwortete Roland. »Lasst uns jetzt nicht die Pferde scheu machen. Im Moment wissen wir nicht, ob sie nicht doch von ihrer eigenen Familie fortgeschickt worden ist.«
»Jedenfalls nicht zu ihren Verwandten nach London«, wiederholte Miroslav.
Per Roland seufzte.
»Das wissen wir jetzt, danke. Hört mal, Leute. Wir haben niemanden, der sie sucht, keine Leiche, kein Anzeichen eines Verbrechens, es ist also nicht unser Fall. Solange da keine Anzeige eingeht, ist das eine reine Familienangelegenheit. Vielleicht war es ihnen peinlich, dass sie schwanger war. Es ist doch möglich, dass sie sie für die Geburt irgendwo hingeschickt haben, wo sie dann einfach geblieben ist. Konzentrieren wir uns jetzt auf die zwei Morde, die wir haben. Mette Berendsen und Cecilie Junge-Larsen. Mit Blick auf Cecilies Eltern: Was ist aus der Spur geworden, die nach Tschechien führte, und aus dem Geld, das die Eltern noch schuldig sind? Carsten?«
»Da konnte ich wirklich nicht viel herausfinden. Auf jeden Fall haben sie eine Unmenge Geld in ein Projekt investiert, durch das neue Methoden der Trinkwasseraufbereitung für Katastrophengebiete mit drohenden Epidemien entwickelt werden sollten. Eine Art Tablette, mit der Tausende von Menschenleben auf der ganzen Welt gerettet werden könnten. Aber das ist in die Hose gegangen, weil ihnen eine deutsche Firma zuvorgekommen ist. Danach hat Junge-Larsen
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