Blutschande
zwei kleinen Brücken hindurch. Per Roland wühlte im Handschuhfach herum und fand das mobile Blaulicht, das er aus dem Fenster hielt und trotz der enormen Fliehkräfte, die in der nächsten Kurve zu wirken begannen, auf dem Dach zu platzieren versuchte. »Achtung, festhalten!«, rief Liv, als sie unten in Höhe von Snekkersten den Strandvej erreichten und hart nach rechts Richtung Espergærde abbogen.
Das Wetter war perfekt für einen Segelausflug, dachte Roland, bevor das Wasser wieder hinter den großen Villen am Ufer verschwand, von denen sich Peter Schmeichel eine gekauft hatte, wenn er sich richtig erinnerte.
Guter Wind, sieben bis acht Meter pro Sekunde, schätzte er aus den Bewegungen der Bäume, und wolkenloser Himmel. Genau das Wetter, das Per Roland in seinem Segelrevier am liebsten hatte. Gerade Wind genug, um perfekt in Fahrt zu kommen, mit einer Hand zu segeln und mit der anderen ein Bier zu trinken.
Jetzt tauchte die Egebæksvang Kirche auf, dann der Hafen, und als Liv den Strand erblickte, gingen alle Pferde mit ihr durch: Sie fuhr schräg über die Gegenfahrbahn, donnerte über den Straßenrand und die anschließende Wiese und raste auf den öffentlichen Strand zu. Am Spülsaum hatte sich bereits eine Menschenmenge versammelt.
Noch bevor sie ganz standen, sprangen alle aus dem Auto, gleich darauf war auch Carsten Svendsen mit seinem Wagen zur Stelle. Gemeinsam liefen sie auf die Menschen zu, die in einem Halbkreis um etwas herum standen und miteinander diskutierten.
»Aber das ist sie doch, oder?«, hörten sie jemanden fragen.
»Doch, das muss sie sein«, antwortete ein anderer.
»Hier in der Stadt hat niemand sonst so schöne, lange blonde Haare. Und schaut doch mal die Augen«, sagte ein Dritter.
»Seht doch mal, wie blass sie ist«, meldete sich die erste Stimme wieder.
»Aber ist die denn nicht tot?«, fragte ein Vierter mit Entsetzen in der Stimme. »Die Polizei hat sie doch in diesem Keller in ihrem Elternhaus gefunden, oder?«
»Polizei«, sagte Roland und hielt seine Marke in die Höhe. »Bitte lassen Sie uns durch!«
Die Menschenmenge machte ihnen Platz, so dass die Beamten hindurchgehen konnten. Roland blieb stehen.
Da. Direkt vor ihnen saß ein nacktes kleines Mädchen mit angezogenen Beinen auf den Ufersteinen. Sie hatte ihnen den Rücken zugedreht. Ihre nassen, blonden Haare hingen ihr über die Schultern herab. Per Roland näherte sich ihr und ging vorsichtig um sie herum.
Dann verschlug es ihm den Atem. Er konnte nicht glauben, was er sah.
Es war Cecilie.
Alles, die Wangenknochen, das Kinn, die Nase, der Mund, die Augen, sogar ihre Haare waren wie bei Cecilie. Ihre eisblauen Augen starrten aufs Meer, und auf ihren Lippen zeichnete sich ein stilles, fast seliges Lächeln ab. Irgendwie sah sie wie eine Porzellanpuppe aus. Die Haut ihres Gesichts und ihres Körpers war so durchsichtig, dass man die Adern durchscheinen sah. Wassertropfen glänzten auf ihrer Haut, sie hatte am ganzen Körper Gänsehaut.
Vorsichtig hockte er sich vor sie hin. Als sie ihn erblickte, zuckte sie mit einem leisen, überraschten Laut zusammen.
»Du musst keine Angst haben«, sagte er ruhig, aber das Mädchen zitterte am ganzen Körper, und als er versuchte, sich ihr zu nähern, wich sie zurück und kauerte sich dann in Embryonalhaltung zusammen.
Erst in diesem Moment sah er das Blut, das ihr aus dem Ohr und über die Wange rann.
Per Roland sprang auf und rief aus vollem Hals:
»Wir brauchen eine Decke und einen Krankenwagen! Schnell!«
26
Das ist alles höchst merkwürdig«, sagte der Arzt und sah Per Roland nachdenklich an. Sie saßen auf den blauen Stühlen im Flur des Krankenhauses von Helsingør. Es war Spätnachmittag, und die Ärzte waren gerade mit der ersten Untersuchung des Mädchens fertig.
»Wann können wir sie verhören?«
»Bei ihrem Zustand? Sie schläft in Folge der Medikamente, die wir ihr geben mussten, immer wieder spontan ein. Das macht es schwer, mit ihr zu sprechen. Sie müssen warten. Ihr Zustand ist noch nicht stabil. Sie war vor einer halben Stunde eine Weile wach und hat dann gleich versucht, das Bett zu verlassen.«
»Was halten Sie von ihr? Wo kommt sie her?«
Der Arzt zuckte mit den Schultern und schnitt eine Grimasse, aus der Roland entnahm, dass auch der Arzt vollkommen überfragt war.
»Es klingt wahnsinnig, aber auf den ersten Blick würde ich sagen, dass sie noch niemals zuvor im Tageslicht war. Ihre Haut und ihre Augen sind extrem empfindlich. Sie
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