Blutseele
immer noch nicht, wer das Foto geschossen hatte, und wenn ich es je herausfinden sollte, würde ich ihr oder ihm Schnecken ins Handschuhfach stecken. Ich schnaubte abwehrend und schob mich zu nah an ihn – mein Körper an seinem und mein Arm um seine Hüfte –, als dass er irgendetwas hätte tun können. Ich machte die Tüte mit dem Take-away-Essen auf und gab ihm etwas, als Ersatz für mein Ohrläppchen, an dem er gerade knabberte. Er seufzte bei der milden Abfuhr, aber er wusste ja, dass es nur ein vorübergehendes Patt war. Nach der Arbeit würde ich es ihm vergelten.
Frühstück mit Kisten konnte alles bedeuten: von Fastfood in seinem Auto bis hin zu einem Drei-Gänge-Menü im Carew- Tower-Restaurant. Heute war es Chinesisch im Eden Park. Mir machte das nichts aus. Da er die Geschäfte seines im Gefängnis sitzenden Meistervampirs führte und ich Teilhaber in einer selbstständigen Runner-Firma war, bestand unsere gemeinsame Zeit oft aus solchen gestohlenen Momenten. Es war mein Vorschlag gewesen, hier zu essen, da ich auch noch in den nahe gelegenen Wintergarten gehen und Orchideenpollen für einen Zauber sammeln wollte, und wenn Kisten bei mir war, würde niemand etwas sagen, selbst wenn ich erwischt wurde.
Orchideenpollen, dachte ich und kuschelte mich in die Sicherheit von Kistens Arm, während wir uns über das Geländer lehnten, um auf das schnell fließende Wasser zweieinhalb Meter unter uns zu schauen. Ich hatte nicht mal gewusst, dass Orchideen Pollen hatten. Aber entweder zog ich mit meinem winzigen Pinsel in den Wintergarten, oder ich musste in einen der örtlichen Zauberläden.
Das Plätschern des Wassers, das in den großen Auffangteich floss, war beruhigend. Ich spürte, wie Kisten sich neben mir entspannte, seufzte glücklich und atmete den Vampirgeruch ein, den er unterbewusst abgab. Der komplexe, kaum wahrnehmbare Duft vermischte sich mit dem Sonnenschein und dem Wind und vermittelte mir ein Gefühl von ruhiger Intensität. Ich vertraute Kisten völlig, dass er seine Vorteile als Vampir nicht ausnutzte, aber allein die Möglichkeit war schon aufregend. Ich spielte mit dem Feuer, aber es fühlte sich so gut an. Außerdem war ich als Hexe auch nicht ganz ohne eigene »evolutionäre Anpassungen«.
Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen. Es war Hochsommer, die Sonne stand am Himmel, der Wind war kühl, und nachdem ich heute keinen Auftrag hatte, musste ich nur Orchideenpollen sammeln. Nichts konnte meine entspannte Zufriedenheit zerstören.
Das leise Summen von Kistens Handy vibrierte durch meinen Körper, und ich versteifte mich.
Naja, das könnte es fast schaffen.
Kisten bewegte sich, und ich biss die Zähne aufeinander. »Du wirst da nicht drangehen, oder?«, beschwerte ich mich und ließ mich dann mit verschränkten Armen gegen die Brüstung fallen, als er sich aus meinem Griff wand. »Ich nehme nie Gespräche an, wenn wir unterwegs sind.«
Sein Lächeln zeigte einen Hauch von Zahn. Er würde die längere Version nicht bekommen, bevor er wirklich tot war, aber schon diese kleine Andeutung jagte mir ein Kribbeln in den Bauch. Dreck auf Toast, ich konnte dem Mann einfach nicht böse sein.
»Du versuchst ja auch nicht, die Stadt am Laufen zu halten«, sagte er, als er sein winziges Telefon aus der Tasche zog und auf das Display starrte.
»Die Stadt am Laufen zu halten …« Ich stützte meine Ellbogen auf die Brüstung und schaute weg, um ihm ein wenig Privatsphäre zu geben. »Du hältst nicht die Stadt am Laufen. Du führst einen Nachtclub.«
»In diesem Fall ist das ein und dasselbe.« Kisten gab ein leises, besorgtes Geräusch von sich, als er auf die Nummer schaute. »Es ist meine Schwester. Macht es dir etwas aus, wenn ich mit meiner Schwester spreche?«
Ich richtete mich überrascht auf. Ich hatte nicht mal gewusst, dass er eine Schwester hatte. »Geh ran«, sagte ich. »Ich hole uns ein Eis.«
»Bleib hier. Sie will wahrscheinlich nur eine Telefonnummer.« Kisten stellte das Essen auf der Brüstung ab und nahm das Gespräch an. »Hi, Chrissie«, sagte er und runzelte die Stirn. »Wo bist du?«
Meine gute Laune wankte und brach dann ein, als Kisten an mir vorbei zu der Straße jenseits der Grünflächen starrte, auf denen Leute ihre Hunde spazieren führten und Drachen steigen ließen.
»Scheiße«, fluchte er leise und kniff besorgt die Augen zusammen. »Warum bist du nicht zu Piscarys gefahren?« Er presste die Lippen aufeinander und legte eine Hand an die Stirn.
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