Blutsvermächtnis (German Edition)
fehlenden Geruch festmachte, dass kein echtes Feuer in den Halterungen brannte. An seiner Auffassungsgabe hatte er zu arbeiten, an den absurden Tagträumereien bezüglich seiner Erscheinung ebenfalls. Er sollte Hirntraining absolvieren, mochte er seinem Gastgeber, wer immer es war, nicht als begriffsstutzig erscheinen.
Nicht, dass es wichtig gewesen wäre. Aber er wollte einen guten Eindruck abgeben. Ehrfurcht, von der er vage ahnte, sie bereits einmal empfunden zu haben, eroberte jede Faser seines Seins. Ihm blieb keine Zeit, nachzudenken, denn Crichton öffnete eine imposante Flügeltür, deren Türblätter nach innen schwangen. Eine ungeheure Pracht strahlte und funkelte ihm entgegen. Unter Hunderten Lichtern aus Kristallleuchtern, groß wie 20-Personen-Fahrstuhlkabinen, erblickte er eine Speisetafel, auf der für ein Bankett aufgefahren war. Crichton gab ihm den Vortritt. Kaum war Joshua ein paar Schritte in den Raum getreten, erschien ein bildhübsches Mädchen in kurzem, schwarzen Rock und schneeweißer Bluse mit einem Silbertablett. Nach einem höflichen Knicks reichte sie einen Aperitif. Von dem üppigen Dekolleté abgelenkt, bekam Joshua nicht mit, wie ein Mann auf ihn zutrat, bis Crichtons Stimme erklang und er aus seiner starren Faszination erwachte.
„Herr, Sir Joshua Morrison.“ Pause. „Sir Elia Spops.“ Crichton zog sich zurück.
Nachdem Crichton ihn unter einem modern klingenden Anagramm seines Namens vorgestellt hatte, durchrieselte Elia ein sonderbares Gefühl. Niemals hätte er vermutet, dass es ihm derartigen Spaß bereitete, einen Gast zu umsorgen. Einen Menschen. Etwas Schwermütiges umgab ihn, doch die radikale Verjüngungskur, die das atlantidene Blut bewirkt hatte, stand dem Wissenschaftler gut und verlieh ihm eine interessante Aura. Beinahe drei Tage hatte seine Genesung gedauert, aber jetzt pulsierte das Leben wieder in ihm. Irgendwie erinnerte Morrison ihn an jemanden, doch Elia hatte in seinem Leben so viele Menschen gekannt, dass ihre Bilder kamen und gingen wie Regentropfen.
Er malte sich bild- und schmackhaft aus, sein Gegenüber als Blutwirt zu kosten. Das Wasser floss ihm im Mund zusammen und eine leise Ungeduld entlockte ihm ein Lächeln. Alles zu seiner Zeit.
„Darf ich Euch zu Tisch bitten, Sir Morrison?“
Der Angesprochene sah sich wie verzaubert um. Elia verstand das durchaus. Eine Gabe atlantidenen Blutes brachte menschliche Hormone zeitweilig zum Überkochen. Außerdem musste der Mann das Gefühl haben, am Verhungern zu sein. Wie gut, dass Crichton dafür gesorgt hatte, dass ein Festmahl bereitet worden war. Er fasste Joshua am Ellbogen und steuerte die Tafel an. Sofort eilte ein Dienstmädchen herbei, um die Stühle zurechtzurücken. Morrison nahm zu seiner Linken Platz, während er sich an die Stirnseite setzte.
„Ihr müsst hungrig sein nach den Strapazen, die man Euch zugemutet hat.“ Elia registrierte, wie Joshuas Blick umherirrte, wie er verzweifelt versuchte, Worte zu finden. „Bemüht Euch nicht meinetwegen, Sir Morrison. Esst und labet Euch.“
Der Appell fruchtete. Beherzt griff Joshua zu, ließ sich Delikatesse um Delikatesse reichen und aß mit gutem Appetit. Ein Lächeln stahl sich in Elias Herz. Er nippte an dem vorzüglichen Cantina della Cremosino, eine Weinrarität aus dem Jahr 1802. Sein Weinlager beherbergte etliche andere, wesentlich ältere und seltenere Sorten, jedoch hatte dieser italienische Tropfen es ihm besonders angetan. Zwischendurch gönnte er seinem Gourmetgaumen ein Häppchen hier oder dort. Essen war für ihn ein Genuss und Nahrungsquelle, Bluttrinken ein Labsal, um die Jugend zu erhalten. Die größte Wonne bereitete es allerdings, Morrison zu beobachten, dem die neu gewonnene Kraft von der Seele strahlte. Joshua lehnte sich auf dem antiken Sitzmöbel aus einem preußischen Königshaus zurück. Offenbar tauchte Morrison aus seinem Rausch auf. Seine Augenfarbe verdunkelte sich, doch noch immer sagte er nichts.
„Hat es Euch gemundet?“
„Es war exzellent.“
„Dann möchte ich mich erneut vorstellen. Mein Name ist Elia Spops. Willkommen in meinem Haus.“
„Ich danke Euch für die Gastfreundschaft. Wo befinden wir uns und wie bin ich hergekommen?“
„Das ist eine lange Geschichte.“ Elia sah und spürte, wie die Gedanken seines Gastes rasten. „Das chilenische Militär hat die Expedition beendet. Man hat alle Teilnehmer bis auf Euch und die beiden bedauerlichen Opfer derSchießerei in die Vereinigten Staaten
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