Bodenlose Tiefe
wie Nicholas es ihr gesagt hatte.
Also gut, sie musste warten. Sie nahm dem Mann sein Sturmgewehr ab und duckte sich hinter die Treppe.
Nicht, dass diese Waffe ihr von großem Nutzen sein würde.
Verdammt, sie wusste nicht einmal, wie man damit umging.
Nun hatte sie die Gelegenheit, es herauszufinden.
Zwei von Archers Männern rannten zu der Treppe, die zum Unterdeck führte.
Kelby zielte und drückte ab. Ein Mann stürzte. Der andere fuhr fluchend herum, die Waffe im Anschlag.
Kelby verpasste ihm eine Kugel zwischen die Augen.
Ein Mann war noch übrig. Wo zum Teufel steckte er?
Verflucht. Schwarzer Rauch quoll aus der offenen Tür.
Kelby hastete zur Treppe.
Er konnte nichts sehen. Der Rauch brannte ihm in den Augen.
»Melis!«
Keine Antwort.
Er lief die Treppe hinunter. »Melis!«
»Komm nicht runter. Ich komme nach oben!«
»Gott sei Dank.« Es war nicht nur der Rauch, der in seinen Augen brannte. »Brauchst du Hilfe? Bist du –«
»Ich brauche eine neue Lunge.« Hustend kam Melis die Treppe herauf. »Meine alte ist verbrannt«, sagte sie nach Luft ringend.
»Archer?«
»Tot.«
»Bleib hier. Ein Mann der Besatzung fehlt noch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Da … unten.«
»Bist du sicher?«
Sie zeigte ihm das Gewehr. »Das hab ich ihm abgenommen.«
»Sieh, dass du wieder zu Atem kommst. Ich muss nachsehen, ob mit Nicholas alles in Ordnung ist.« Er lief in Richtung Brücke.
Wieder zu Atem kommen?
Das war leichter gesagt als getan, dachte Melis, während sie sich an die Reling lehnte. Ihre Lunge brannte wie der Teufel.
Vorsichtig atmete sie ein und aus. Schon besser. Jetzt tiefer atmen –
»Was bist du nur für ein ungezogenes kleines Mädchen.«
Als sie herumwirbelte, sah sie Archer in der Tür stehen.
Er hielt sich am Türrahmen fest, sein Gesicht war verrußt und sein Oberkörper von Blut bedeckt.
Aber er hielt eine Pistole in der Hand.
Sie duckte sich seitwärts, als er abdrückte.
Die Kugel pfiff an ihrer Wange vorbei. Sie hob das Sturmgewehr. Zielte kurz und sorgfältig.
Drückte ab.
Er schrie auf, als die Kugeln in seinen Unterleib fuhren.
Die Pistole fiel ihm aus der Hand und er sank zu Boden.
Sie feuerte noch einmal auf ihn. Feuerte und feuerte.
»Ich glaube, er hat’s hinter sich«, sagte Kelby leise. Er stand neben ihr und streckte eine Hand aus. »Und du hast alles um ihn herum mit einem Kugelhagel eingedeckt.«
Sie hatte ohnehin keine Munition mehr, dennoch gab sie die Waffe nicht her. »Ich wusste nicht, wie man damit umgeht. Ich hab einfach den Abzughahn gedrückt und nicht mehr losgelassen.«
»Hat jedenfalls funktioniert«, sagte Nicholas. »O Gott, ich glaub, Sie haben ihm die Eier weggeschossen.«
»Genau das war meine Absicht. Das schien mir das Passendste. Ist er wirklich tot?«
Kelby ging zu Archer hinüber und betrachtete ihn. »Verdammt noch mal, der lebt tatsächlich noch.«
Archer öffnete die Augen und starrte Melis wütend an.
»Miststück. Hure.«
Kelby hob seine Pistole. »Ich glaube, es ist an der Zeit für ihn, sajonara zu sagen.«
»Nicht«, sagte Melis. »Hat er Schmerzen?«
»Und wie.«
»Sind die Verletzungen tödlich?«
»Ja, seine inneren Organe sind zerfetzt.«
»Wie lange wird es dauern, bis er tot ist?«
»Vielleicht eine halbe Stunde. Kann aber auch noch Stunden dauern.«
Langsam ging Melis auf Archer zu.
»Miststück«, flüsterte er. »Miststück.«
»Tut’s weh, Archer?« Sie beugte sich über ihn und flüsterte:
»Glaubst du, die Schmerzen sind so schlimm wie die, die du Carolyn zugefügt hast? Glaubst du, es ist so grauenhaft, wie die kleinen Mädchen sich gefühlt haben, die du vergewaltigt hast?
Ich hoffe es jedenfalls.«
»Hure. Du wirst immer eine Hure bleiben«, zischte er. »Und ich habe dafür gesorgt, dass du es begriffen hast. Ich habe alles zerstört, was deine Carolyn für dich getan hat. Das habe ich heute Abend in deinem Gesicht gesehen.«
»Du irrst dich. Du hast mich endgültig geheilt. Da ich diesen Alptraum überleben konnte, bin ich stark genug, um alles zu überleben.«
Zweifel flackerte in seinem Blick auf. »Du lügst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Carolyn hat mir immer gesagt, einen Alptraum wird man nur los, wenn man damit umgeht.« Sie betrachtete seinen blutenden Schritt.
»Und das habe ich getan.«
Sie wandte sich ab und ließ ihn liegen.
Kelby und Nicholas holten sie auf dem Weg zum Deck ein.
»Sollen wir ihn wirklich nicht erschießen?«, fragte Nicholas.
»Es wäre
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