Bollinger und die Barbaren
Erschrecken nicht zeigen und kurbelte langsam die Scheibe herunter.
»Glaub bloß nicht, ich weiß nicht, wohin die Flasche wandert. Zu der polnischen Schlampe! Die scheint’s dir ja mächtig angetan
zu haben.«
»Ich habe gestern Abend versucht, dich zu erreichen. Aber es war stundenlang besetzt.«
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich hab telefoniert. Mit meiner Schwester. Daheim. Im Saarland. Wir haben uns halt viel
zu sagen.«
»Du hast den Hörer neben den Apparat gelegt, stimmt’s? Wolltest wohl nicht gestört werden bei der Anbetung des heiligen Phallus.«
»Was??«
»Der Bürgermeister spricht gerne darüber. Sogar auf dem Polizeirevier. Vor versammelter Mannschaft.«
Sie errötete. Immerhin.
Ich startete meinen Wagen und ließ sie stehen. Mit ihrem roten Kopf und dem knallvollen Einkaufswagen und den zwei Großpackungen
Toilettenpapier. Ich ließ die Gattin des allmächtigen Bürgermeisters einfach auf dem »Migros«-Parkplatz stehen.
Als ich sie im Rückspiegel sah, versuchte ich, sie mir in Badelatschen und mit Lockenwicklern vorzustellen. Es funktionierte.
Das Dumme war nur: Ich fand sie trotzdem unglaublich sexy.
|159| 13. KAPITEL
D iesmal schlich ich mich nicht heran wie ein Strauchdieb. Diesmal fuhr ich vor und hupte. Was sollte mir schon geschehen? Die
drei Hagenaus saßen in unserer Zelle und dachten über ihre Untaten nach. Wir hatten alle Zeit für uns allein.
Dennoch klopfte mein Herz vor Aufregung. Ich wollte Gewissheit. Das war ich ihr und mir schuldig. Sie sollte mir ins Gesicht
sagen, dass sie mich wegen Ellinor und der Kunst verließ. Oder sie sollte mir ein Zeichen geben, dass sie mich nur aus Angst
vor den Hagenaus abgewiesen hatte.
Erst als ich den Wagen abgeschlossen hatte und mit der Flasche Veuve Clicquot zum Anwesen ging, sah ich, dass etwas Helles,
Sauberes, Chromblitzendes aus dem Autofriedhof hervorragte, was nicht zu den Hagenaus passte. Als ich ein paar Schritte zum
Pferch der verwahrlosten Tiere hin machte, erkannte ich, was es war. Der bonbonfarbene Schlitten von Schwierz.
Ich ging an dem Wagen vorbei zum hinteren Teil des Anwesens. Die Schweine kamen quiekend angerannt. Immerhin – Petrus, den
kahlen Hund vom Wackesberg, hatten sie endlich begraben.
In einem Zimmer brannte Licht. Ich lugte durch das Fenster.
Das Erste, was ich sah, war Agneta. Sie trug nur einen grünen Spitzenslip und das dazugehörige Oberteil, eine Art Bolero.
An beiden hingen noch Preisschilder.
Agneta hatte eine Figur wie aus einer Hochglanzzeitschrift. Natürlich machten das auch die edle Unterwäsche und die schwarzen
Pumps, die sie dazu trug.
Dabei war sie nicht so mager wie die Models, die man tagtäglich |160| in den Zeitungen sieht. An ihr war Fleisch, sie hatte runde Hüften und einen schön geformten, großen Busen, der zu den übrigen
Proportionen passte, ihre Beine waren kräftig und nicht so knochig, wie das jetzt überall bei den jungen Dingern der Fall
war. Man sah bei jeder Bewegung das Spiel der Sehnen. Sie trug sogar ein Fußkettchen – ganz sicher kein Geschenk von ihrem
Gatten, eher ein Mitbringsel aus der Heimat. Das Einzige, was nicht so recht zu ihrer harmonischen Erscheinung passte, war
die Farbe ihrer Haut. Sie war ganz anders als in meinem Traum, sie war – weiß, weiß wie Käse.
Agneta stöckelte in Slip, BH und Pumps quer durchs Zimmer. Von einer Ecke in die andere und wieder zurück. So unbefangen,
als hätte sie nie etwas anderes getan. Was mich dabei irritierte: Agneta trug eine Uniformmütze. Eine Offiziersmütze der deutschen
Wehrmacht. Aber selbst das tat ihrer klassischen Schönheit keinen Abbruch. Es fiel mir schwer, mich von diesem Anblick zu
lösen.
Durch die Küche gelangte ich in den dunklen Flur des Hagenau’schen Hauses. Ich klopfte an die Tür, hinter der ichAgneta vermutete,
weil Musik aus dem Zimmer zu hören war. Marschmusik!
Niemand antwortete. Ich trat ein.
Ein improvisierter Laufsteg war notdürftig mit Zimmerlampen erleuchtet worden. Die Musik kam von einem Kassettenrekorder,
der auf dem Boden stand.
Agneta stolzierte immer noch auf und ab. Sie schien alles um sich herum vergessen zu haben. Die schäbigen Möbel, den Staub
und Schmutz, die Demütigungen der Hagenaus, die Dumpfheit dieses Lebens am Waldrand, inmitten von Schrottautos und halb verhungerten
Schweinen und Hühnern.
Jetzt erst hörte ich, dass Agneta sang. Ihre Stimme war hell, aber dennoch melodisch, wie die Stimme
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