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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ich in solch eine
Schneesäule, in solch einen Schneewirbel das Messer stoß bis an den Griff, zieh
ich's rot von Blut wieder raus. Na, gesehen? Na? Und du dachtest, ich lüge. Und
nun sag mir, wo kommt das Blut in dem Schneewirbel her? Das ist ja Luft, Wind,
Schneestaub. Aber das ist es eben, Gevatterin, das ist kein Wind und kein
Schneesturm, das ist die geschiedene Hexenfrau, die ihr Hexenkind verloren hat,
sie sucht es im Feld und weint und kann es nicht finden. Und die hat mein
Messer getroffen. Davon kommt das Blut. Mit diesem Messer kann ich dir
jedermanns Schatten wegnehmen, abschneiden und mit Seide an deinen Rocksaum
nähen. Und ob das nun Koltschak ist oder Strelnikow oder ein neuer Zar, er wird
sich an deine Fersen heften und dir überallhin folgen. Und du hast gedacht, ich
lüge, dabei kommen zu mir Arme und Proleten aller Länder.
    Oder zum
Beispiel, vom Himmel fallen Steine, sie fallen wie Regen. Der Mensch tritt aus
seinem Haus, und die Steine treffen ihn. Manche haben Reiter gesehen, die sind
über den Himmel geritten, und ihre Pferde haben mit den Hufen die Dächer
berührt. Oder was schon Zauberer im Altertum entdeckt haben: Eine Frau trägt in
sich Korn oder Honig oder ein Marderfell. Männer mit Harnisch öffnen ihr die
Schulter, so wie man einen Krug aufmacht, und holen mit dem Schwert bei der
einen Weizen heraus, bei der anderen ein Eichhörnchen, bei der dritten eine
Bienenwabe.«
    Manchmal
begegnet einem auf der Welt ein großes und starkes Gefühl. Ihm ist stets
Mitleid beigegeben. Der Gegenstand unserer Anbetung, je stärker wir ihn
lieben, dünkt uns desto mehr ein Opfer. Bei manchen übersteigt das Mitleid mit
der Frau alle nur denkbaren Grenzen. Ihre Anteilnahme stellt die Frau in die
unmöglichsten, auf der Welt nicht vorkommenden, nur in ihrer Phantasie existierenden
Situationen, und sie sind eifersüchtig auf die sie umhüllende Luft, auf die
Naturgesetze, auf die vorangegangenen Jahrtausende.
    Doktor
Shiwago war gebildet genug, um in den letzten Worten der Zauberin Stellen aus
einer Chronik zu vermuten, aus der Nowgoroder oder der Ipatjewer Chronik, deren
ursprünglicher Text durch Abwandlungen in Apokryphe verwandelt worden war.
Jahrhundertelang hatten Zauberer und Märchenerzähler sie mündlich von einer
Generation an die nächste weitergegeben. Noch früher hatten Abschreiber sie
verändert und entstellt.
    Warum konnte
die Macht der Legende ihn dermaßen fesseln? Warum nahm er den unverständlichen
Unsinn, die sinnlosen Märchen so auf, als wären es reale Dinge?
    Lara wurde
die linke Schulter geöffnet. So wie man den Schlüssel in das Geheimtürchen
eines in den Schrank eingebauten Safes steckt, wurde ihr mit einer Schwertdrehung
das Schulterblatt geöffnet. In der Tiefe des offenen Seelenraums zeigten sich
ihre verborgenen Geheimnisse. Fremde Städte, die sie besucht hatte, fremde
Straßen, fremde Häuser, fremde Weiten wickelten sich wie Bänder von Knäueln,
und ganze Büschel von Bändern flatterten nach draußen.
    Wie er sie
liebte! Wie schön sie war! Sie war genauso beschaffen, wie er immer geglaubt
und geträumt hatte, daß es für ihn notwendig sei! Aber wodurch, mit welcher Seite
ihres Wesens? Ließ sich das benennen oder analysieren? O nein, nein! Es war die
unvergleichliche einfache und behende Linie, mit der der Schöpfer sie in einem
einzigen Zug gezeichnet hatte, und dieser göttliche Umriß war seiner Seele in
die Hände gegeben, so wie ein gebadetes Kind in das Laken gewickelt wird.
    Wo war er
jetzt, und was widerfuhr ihm? Der Wald, Sibirien, die Partisanen. Sie waren
eingekesselt, und er würde das allgemeine Los teilen. Was für eine Teufelei,
was für eine Unerhörtheit! Wieder fühlte Shiwago, wie seine Augen sich trübten
und sein Kopf sich verwirrte. Vor ihm verwischte sich alles. In diesem Moment
fiel statt des erwarteten Schnees ein Nieselregen. Wie ein in einer städtischen
Straße von Haus zu Haus gespanntes Transparent zog sich in der Luft von einer
Seite der Waldlichtung zur anderen das verschwommene, vielfach vergrößerte,
geisterhafte Bild eines von Gott geschaffenen wunderschönen Kopfes. Der Kopf
weinte, und der zunehmende Regen küßte und umspülte ihn.
    »Geh«,
sagte die Zauberin zu Agafja, »deine Kuh habe ich besprochen, sie wird gesund.
Bete zur Gottesmutter. Sie ist der Lichtquell und das Buch des Lebens.«
     
    An den
Westgrenzen der Taiga kam es zu Kampfhandlungen. Aber die Taiga war so groß,
daß sie sich an der fernen Staatsgrenze

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