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Bradbury, Ray - Halloween

Bradbury, Ray - Halloween

Titel: Bradbury, Ray - Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halloween
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glaube«, sagte Tom, »wir sollten langsam …«
»Verschwinden?« schlug Ralph vor und klang dabei nicht sehr kaltblütig.
»Sollen wir abstimmen?«
Die Sense zischte, Samhain brüllte.
»Quatsch, abstimmen!« sagte Downground.
Alle sprangen auf.
»Ihr da!« dröhnte die Stimme über ihnen. »Kommt
zurück!«
»Nein, danke, Sir«, sagte einer und dann noch einer.
Sie nahmen die Beine in die Hand.
»Ich glaube«, sagte Ralph, der keuchte, sprang und
mit den Tränen kämpfte, »ich bin bist jetzt immer
ziemlich brav gewesen. Ich hab’s nicht verdient zu
sterben.«
»Hang!« brüllte Samhain.
Die Sense raste wie ein Fallbeil heran, köpfte eine
Eiche und fällte einen Ahorn. Ein ganzer Garten voller Herbstäpfel fiel irgendwo in eine Grube aus
Marmor. Es klang wie ein Haus voller Jungen, die
eine Treppe hinunter fallen.
»Ich glaube, er hat dich nicht gehört, Ralph«, sagte
Tom.
Sie sprangen in Deckung. Sie kauerten sich zwischen Felsen und Büsche.
Die Sense prallte an den Steinen ab.
Samhain stieß einen Wutschrei aus, der auf einem
kleinen Hügel in der Nähe einen Erdrutsch auslöste.
»Junge, Junge«, sagte Ralph, der zusammengekrümmt, zusammengerollt dalag, die Knie an die
Brust gepreßt, die Augen fest zusammengekniffen.
»Für Sünder ist England ein heißes Pflaster.«
Im selben Augenblick ging ein Schauer, ein Regen, ein Wolkenbruch aus hysterischen, in Käfer,
Flöhe, Baumwanzen, Weberknechte verwandelten
Seelen über die Jungen nieder.
»Hey, sieh mal! Der Hund da!«
Ein wilder, vor Angst wie wahnsinniger Hund raste über die Felsen.
Und sein Gesicht, seine Augen waren … irgendwie …
»Das kann doch nicht …«
»Pipkin?« sagten alle.
»Pip …« rief Tom. »Hier triffst du uns? Ist …«
Aber wuschhh sauste die Sense herab.
Und winselnd vor Angst warf sich der Hund zu
Boden und kroch durch das Gras.
»Halt durch, Pipkin! Wir erkennen dich, wir sehen
dich. Hab keine Angst! Laß dich …« Tom pfiff.
Doch der Hund, der mit Pipkins vertrauter Stimme
jaulte, war verschwunden.
Es war, als würde es von den Hügeln widerhallen:
»Wir treffen uns …«
Wo? dachte Tom. Verflixt, wo ?
13

S
amhain hob seine Sense und sah sich, zufrieden
mit seinem Spiel, um.
    Er lächelte ein kleines Lächeln, spuckte feurige
Spucke in seine schwieligen Hände, packte die Sense
fester, schwang sie in die Luft und erstarrte …
Denn irgendwo erklang ein Lied.
    Irgendwo nahe der Spitze eines Hügels flackerte
inmitten eines kleinen Hains ein großes Feuer.
Menschen waren hier versammelt. Sie bewegten sich
schattengleich, hoben die Arme und sangen feierlich.
Samhains Sense war wie ein großes Lächeln in
seinen Armen. Er lauschte.
O Samhain, Gott der Toten, höre uns!
Wir, die heiligen Druiden in diesem Eichenhain, b itten für die Seelen der Toten.
Weit entfernt hoben diese seltsamen Männer im
Schein des Feuers metallene Messer, hoben Katzen
und Ziegen zum Himmel und sangen:
Wir beten für die Seelen derer, d ie in Tiere verwandelt wurden.
O Gott der Toten, wir opfern dir diese Tiere, a uf
daß die Seelen unserer Lieben, d ie dieses Jahr gestorben sind, g eschont werden.
    Die Messer blitzten.
Samhains Lächeln wurde breiter. Die Tiere schrien.
Überall, auf der Erde, im Gras, auf den Felsen,
    wimmelten die gefangenen Seelen, eingesperrt in die
Körper von Spinnen, Kakerlaken, Flöhen, Pillenkäfern und Tausendfüßlern – sie starrten, zuckten,
wälzten sich und beteten stumme Gebete.
    Tom verzog schmerzlich das Gesicht. Er glaubte,
rings um sich her, wo Tausendfüßler krochen und
Spinnen tanzten, eine Million kleiner, ach, mikroskopisch kleiner Schreie des Schmerzes und des Flehens um Erlösung zu hören.
    »Laß sie frei! Laß sie gehen!« beteten die Druiden
auf dem Hügel.
Das Feuer loderte.
Ein Seewind brauste über die Wiesen, pfiff über
die Felsen, wirbelte die Spinnen, Pillenkäfer und Kakerlaken durcheinander. Die winzigen Insekten, die
Miniaturhunde und -kühe wurden hinweggeblasen,
als wären sie Millionen Schneeflocken. Die in den
Körpern gefangenen Seelen flogen davon.
Mit einem gewaltigen Höhlenflüstern fuhren sie
zum Himmel auf.
»In den Himmel!« riefen die Druiden. »Laß sie
gehen! Fliegt!«
Sie flogen. Sie verschwanden mit einem tiefen
Seufzer der Dankbarkeit.
Samhain, der Totengott, zuckte mit den Schultern
und ließ sie gehen. Doch dann, ganz plötzlich, erstarrte er.
Und die Jungen und Mr. Downground, die sich
zwischen den Felsen versteckten, erstarrten

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