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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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bei den übrigen fürs Lauschen vorteilhaften Stellen zu verweilen.
    Hier war die Schreibstube. Jetzt war es darin still. Einen Augenblick lang verhielt Taguiloa im Stehen über der Ritze, durch die man von drunten Töne hören konnte. Gestern abend hatte sich der Hamardan-Jamar in der Schreibstube mit seinem Aufseher unterhalten, einem seiner Onkel, einem gerissenen Alten, dessen sämtliche Enkel — der Jüngste ausgenommen — im Heer dienten. Sie hatten über die Erhöhung des kaiserlichen Anteils an der Ernte gesprochen, vorsichtige Erwägungen darüber angestellt, was sie bedeuten mochte, beide Männer hatten weit mehr nicht gesagt als gesagt, und mehr als ihre Worte hatte ihr Schweigen über ihre Bedenken und ihren Wissensdurst bezüglich der Dinge verraten, die in Andurya Durat geschahen. Der Alte hatte einen Brief von einem Enkel erhalten, mit der Nachricht, daß noch einer der Enkel gefallen war, der Rest zwar im wesentlichen wohlauf sei, jedoch nicht allzu zufrieden mit dem auferlegten Los. Der Brief umfaßte auch Neuigkeiten über den Ältesten des Jamar; er lebte, war unverletzt, drohte sich allerdings schier zu Tode zu langweilen, die Croaldheser waren ihm zuwider, das Essen, die Gerüche und die Weiber, schlichtweg alles auf jener verdammten Insel war ihm ein Greuel, eingeschlossen — wie sich gewissermaßen zwischen den Zeilen erkennen — ließ die anderen Hauptleute und seine Untergebenen.
    Weder hatte der Jamar eine Ahnung, weshalb der Kaiser auf einmal den Entschluß gefaßt hatte, seine Heere in alle Welt zu schicken und sie erobern zu lassen, noch sein Onkel; zweihundert Jahre lang hatte den Temueng-kaisern das fruchtbare Land Tigarezun vollständig genügt. Diese Eroberungszüge gefielen den beiden Männern gar nicht. Tigarezun, das war ihnen wichtig. Sie vertraten die Auffassung, daß die Hina zur Erde keine sinnvolle Beziehung hatten, im Gegensatz zu ihnen; die Gebeine ihrer Vorfahren lagen in der Erde begraben, während die Hina, diese gedankenlosen Geschöpfe, ihre Toten verbrannten (und wie sollten sie irgendein Recht auf Land haben, wenn sie es gar nicht mit dem Fleisch und Bein ihrer Ahnen weihten und für sich beanspruchten?), folglich waren es die Temueng, denen alle Erde gebührte, gewiß, doch diese Aneignung fremder Ländereien erachteten die zwei Männer als Unfug, besonders im Fall einer Insel, zu der man über eine Woche lang segeln mußte, und überhaupt im Fall aller Inseln. Temueng fanden keinen Gefallen an der Seefahrt und fühlten sich auf einem Flecken Erde, den man binnen ein, zwei Tagen von der einen bis zur anderen Seite durchreiten konnte, zwangsläufig unwohl. Die Eroberungskriege waren aufwendig und kosteten viele Söhne der Temueng das Leben. Am gestrigen Abend hatten der Jamar und sein Onkel zwei Stunden lang gemurrt und Überlegungen in bezug auf den Geisteszustand des Kaisers angestellt; er hatte kürzlich eine neue, ganz junge Gemahlin genommen; vielleicht war er im Alter über dem Bemühen, sich wieder jung zu fühlen, verrückt geworden.
    Taguiloa tappte die Dachbalken entlang, lauschte in die einzelnen Zimmer der Gemächer des Jamar, den Tagesraum des großen Hauses, das Bad, den Wintergarten, und so weiter, überall Schweigen — bis er überm Schlafgemach des Jamar anlangte.
    Dessen Gattin weinte, der Fürst versuchte sie zu trösten. Nach einiger Zeit verebbte das Schluchzen. Danach war es für ein paar Atemzüge still. Schwere, dann leichtere Schritte, ein Stuhl knarrte, die Schritte der Frau ließen sich weiter vernehmen, sie ging ruhelos auf und ab. Taguiloa streckte sich der Länge nach auf dem Balken aus und machte sich aufs Warten gefaßt.
    »Sie sagt, es stünde in Durat gut um Empi, er hat ein neues Roß, nicht zuviel Geld beim Spiel verloren und durchaus jede Gelegenheit, bei Hofe die Aufmerksamkeit einer wichtigen Persönlichkeit zu erregen.« Die Frau blieb stehen, seufzte.
    »Er wollte es so, Tjena.«
    »Ich weiß. Aber ich vermisse ihn so sehr, Ingklio.« Schritte, ein Liegesofa quietschte. »Warum gehen wir nicht für den Winter in die Hauptstadt?«
    »Es gibt zuviel zu tun. Und die Ular-drah verüben ihre Überfälle schon in der näheren Umgebung. Du weißt, wie's im vergangenen Monat dem Tjatajaner Jamarak ergangen ist. Das Haus niedergebrannt, die Speicher geplündert, was die Ular-drah nicht wegschleppen konnten, haben sie verdorben.«
    »Ohm Perkerdj könnte unsere Ländereien schützen.«
    Der Hamardaner Jamar stieß ein Brummen aus.

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