Brann 02 - Blaue Magie
setzte sich auf die Polsterung das Stuhls; er legte den Stab wieder quer auf die Armlehnen. Er langte unterm Stab abwärts und betätigte den Umstellhebel, bis er mit dem Rücken in einem Winkel von dreißig Grad zum Boden lag. Anschließend schloß er die Fäuste um den Stab, schloß die Augen und begann alle innere Aufmerksamkeit seinem Schatz an Zauberformeln und magischen Gebärden zu widmen.
An Bord der Jiva Mahrish hatte Ahzurdan eines Tages Brann das Folgende erläutert: Magische Formeln, magische Spruchgesänge, magische Gesten, ach Brann, das alles gehört zum Geschwafel der Geschichtenerzähler, sie haben nichts mit dem zu schaffen, was ein Zauberer ist oder macht. Schau her, ich sage Jiiih Jaah Jah, bewege meine Hände so und so, und sieh an, da habe ich für dich eine Rosenknospe, feucht von Morgentau. Ja, sie ist ein Stück Wirklichkeit, mitsamt Duft und allem. Jawohl, ich habe sie lediglich aus einem Garten herversetzt, der weiter westlich liegt, wo noch nicht die Sonne scheint, ich habe sie keineswegs aus dem Nichts erschaffen. Jch könnte dich lehren, meine Stimme nachzuahmen, es besteht kein so großer Unterschied zwischen unseren Stimmlagen, ich könnte dir beibringen, meine Gebärden mit gänzlicher Vollkommenheit nachzuäffen, und weißt du, was du damit gewinnen würdest? Gar nichts.
Ein Zauberer wirkt allein durch Willenskraft, oder vielmehr durch die Einheit von Wille, Wort und Geste. Die Worte und Gesten entbehren jedes Sinns, jeder Zauberlehrling heckt welche anhand seiner ureigenen Symbole aus, es handelt sich nur um Klänge und Bewegungen, die ihm besonders gut dabei helfen, sich in den rechten geistigen Zustand und die erforderliche Ballung der Willenskraft hineinzusteigern, wie er sie braucht, um vermittels des Willens bestimmte Ergebnisse zu bewirken. Als Zauberlehrling lernt man, wie man solche Hilfsmittel entwickelt und die gewünschten Ergebnisse herbeiführt. Ferner lernt man, wie man damit seine Kunden am vorteilhaftesten beeindruckt. Unter uns jedoch ist allen bekannt, daß keine der Worten und Gebärden, die jemand von uns benutzt, von keinem anderen aus unseren Kreisen verwendet werden können, wenigstens nicht mit der gleichen Wirkung. Weder in irgendeinem Wort oder einer Folge von Wörtern, irgendeinem Laut oder einer Folge von Lauten, noch in irgendeiner Geste oder einer Reihe von Gesten wohnt auch nur ein Funke von Macht, sie sind allesamt bloß selbstgefertigte Schlüssel zu den Möglichkeiten des Willens.
O ja, ich weiß, von jener Zeit an, als der Mond noch unversehrt war, bis zum heutigen Tag sind Menschen um die Welt gezogen, die von sich behaupteten, über geheimnisvolle Kräfte zu verfügen, die Bücher voller entsprechender Zaubersprüche, magischer Gesänge, Zauberformeln und Beschreibungen heiliger Tänze feilboten, die Zaubermittel und Zaubersalben, Zaubertränke und allen erdenklichen derartigen Humbug verkauften; sie holten völlig unbegabten Einfaltspinseln mehr Gold aus den Taschen, als sie durch den Gebrauch der eigenen Fähigkeiten jemals verdient hätten, es gibt immer Leute, die so dumm sind, daß sie den kürzesten denkbaren Weg zu Reichtum und Macht einschlagen wollen, oder zu einem Weib, dessen Herz zu erobern sie keinerlei Aussicht haben, irgendeinen Narren, der die Wahrheit niemals glauben würde, die lautet, daß alles, wozu ein Zauberer imstande ist, auf seiner Begabung, fleißigem Lernen und härtester Selbstzucht beruht. Das nämlich ist die Wahrheit, Brann, oder jedenfalls fast die ganze Wahrheit. Fast, sage ich, weil es in der Tat Talismane gibt. Niemand weiß, was sie tatsächlich sind, es ist nur bekannt, wie sie aussehen und zu welchen Zwecken man sie benutzen kann. Es gibt Shaddalakh, der einem gefleckten Seeigel aus Porzellan ähneln soll, und Klukesharna, den man aus einem Meteoriten zur Form eines groben Schlüssels schmolz, und Frunzacoache, der genau wie das Blatt einer Weinrebe aussieht, jedoch nie verdorrt, sowie BinY-AHtii, der ungefähr die Form eines Kreises und die Farbe des dunkelsten roten Sandsteins hat, ferner Churikyoo, der ein Aussehen besitzt wie ein kleiner, gläserner Frosch, ziemlich abgesplittert, angeschlagen, inwendig voller feiner Risse und Sprünge, und's gibt noch mehr, ein volles Dutzend, sagt man, aber der Rest ist mir nicht geläufig. Jeder von ihnen bedeutete für den Besitzer Macht — mag sein, dir fällt auf, daß ich nicht Eigentümer sage —, es benötigt einen überaus starken Willen, sich ihrer zu
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