Braut von Assisi
Sätze, die offenbar für Johannes allein bestimmt waren, denn er machte keinerlei Anstalten, sie für Leo zu übersetzen.
Johannes nickte und verneigte sich tief. Dann waren sie entlassen.
»Du weißt jetzt, was du zu tun hast«, sagte Johannes von Parma, als sie Seite an Seite die heilige Treppe nach unten stiegen.
»Aber ich fühle mich kein bisschen schlauer als zuvor!«, rief Leo.
»Dann trag Sorge dafür, dass sich das rasch ändert.« Um Johannes’ Lippen spielte ein liebevolles Lächeln. »Ich weiß, dass du dazu in der Lage bist. Und Seine Heiligkeit weiß es offenbar auch.«
»Aber Stella? Ich meine, meine Sünde … Ich fühle mich so schuldig!«
»Du hast sie nach Hause geschickt und wirst sie niemals wiedersehen. Das ist doch richtig, oder?«
Leo nickte zögernd.
»Damit hat deine Buße bereits begonnen. Wenn jetzt eines Tages noch die Reue dazukommt, bist du auf dem richtigen Weg.«
Leos Blick blieb zweifelnd. »Dann soll ich jetzt also nach Rieti zurückreiten und meinen ursprünglichen Plan in die Tat umsetzen?«
Jetzt war das Lächeln des Generalministers breiter geworden.
»Worauf wartest du noch, Fratello Leo? Hast du nicht selbst gesagt, dass die Zeit knapp wird?«
Was trieb er da?
Stella, die zum kleinen Brunnen hinaufgestiegen war, um ihr zweites Kleid zu waschen, hielt mitten im Schrubben inne. Gestern hatte sie bei einer kleinen Erkundigung unweit des Klosters Seifenkraut gefunden und frische Blätter gepflückt, die sie nun zum Schäumen zu bringen versuchte. Heißes Wasser hätte die Arbeit natürlich erleichtert, doch sie hatte nicht gewagt, den Eremiten darum zu bitten.
Seit gestern schon war Padre Stefano so seltsam, schaute weg, wenn sie ihm zufällig über den Weg lief, bekreuzigte sich und schien ununterbrochen irgendwelche Litaneien vor sich hinzumurmeln. Als sie kein Essen vor ihrer Hütte gefunden hatte, war sie in den Wald gegangen, hatte Beeren und Pilze gesammelt und alles heißhungrig verschlungen, doch richtig satt geworden war sie trotzdem nicht.
Heute Morgen dann fand sie zwei gebratene Wachtelchen vor ihrem halb zerfallenen Schlafplatz, in Blätter gewickelt, als seien sie das Geschenk eines scheuen Waldwesens, das sich lieber nicht zeigen wollte.
Und jetzt diese seltsamen Geräusche, die aus der schmalen Fensteröffnung drangen. Es klang wie das Klatschen von Leder auf nackter Haut – Padre Stefano geißelte sich!
Stella erschauderte. Niemals hatte sie diese Menschen verstehen können, die selbst Hand an sich legten. War ihre Anwesenheit der Auslöser für Stefanos fanatisches Verhalten? Oder waren es Bußübungen, die er in seiner Einsamkeit schon lange abhielt? Gehörten dazu auch die Stämme, die er gestern ächzend auf dem Rücken heraufgeschleppt und anschließend sorgsam abgeschält hatte? Was mochte er damit vorhaben?
Hastig suchte sie ihre Sachen zusammen. Das Kleid
konnte sie weiter unten zum Trocknen aufhängen, und auf das Waschen ihrer Haare, die es dringend nötig gehabt hätten, verzichtete sie lieber. Wie bei einem Wiedehopf standen sie ihr vom Kopf ab, das konnte sie spüren, wenn sie mit den Fingern durch die kurzen Locken fuhr.
Und da war dieser merkwürdige Traum, der sie morgens zerschlagen und wie betäubt hatte erwachen lassen. Sie hatte ein Kind im Arm gehabt, ihr Kind, mit Leos Augen und seinem vorwitzigen Kinn. Die dicken kleinen Finger hatten in ihr Haar gegriffen und fast gebieterisch daran gerissen, bis sie sich tiefer geneigt und dem Kind die Brust gegeben hatte. Ein paar Augenblicke purer Seligkeit, während das Kleine trank. Sogar Stellas Schoß war feucht dabei geworden, so sehr hatte sie es genossen. Plötzlich jedoch Erschrecken. Denn nun war sie das Kind, das an der mütterlichen Brust saugte und mit winzigen Fingern nach den Haaren angelte, die ebenso dunkel waren wie ihre eigenen. Wenn sie sie zu greifen bekommen würde, müsste sich die Frau tiefer zu ihr beugen. Dann würde sie endlich ihr Gesicht erkennen können, jenes Antlitz, nach dem es sie so sehr verlangte …
Stella schrak zusammen. Das Klatschen war verstummt. Jeden Augenblick konnte der Eremit herauskommen. Dann musste sie wieder verschwunden sein, wie sie es ihm versprochen hatte. Sie lief leichtfüßig den Hang hinunter, nachdem ihre Fersen wieder beinahe heil waren. Da ließ ein vertrautes Geräusch sie mittendrin innehalten. Es klang wie der Hufschlag eines Pferdes auf hartem Grund. Sie schüttelte den Kopf und musste über sich selbst lächeln:
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