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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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blinzelnd, sich vor dem grellen Licht zu schützen.
    Dieser Moment der Blindheit. Wie sehr sie sich wünscht, er hätte länger gedauert. Nicht nur einen Moment – eine Stunde. Nicht nur eine Stunde – eine Ewigkeit. Denn was sie nun sieht, ist bei weitem der grauenhafteste Anblick, der sich ihr jemals geboten hat. Der Tod wäre besser, als mit der Erinnerung an das weiterleben zu müssen, was sich direkt vor ihren Augen befindet.
     
    Michael will eigentlich nicht in diese Sache hineingezogen werden, doch es gibt kein Entrinnen. Er will den beiden nicht glauben, doch er tut es.
    Die Kinder halten seine Hände; sie sind verängstigt, und sie laufen, und Michael ist ebenfalls verängstigt und läuft.
    Wieso nicht zur Polizei gehen? Aber was kann die tun? Auf einer Seite zwei Zehnjährige, auf der anderen ein angesehener Anwalt, der vor Geld und Prestige nur so trieft? Bestenfalls wird die Polizei »ermitteln«. Dabei kann es Tage, Wochen, Monate dauern, bis die Akte auf dem Tisch von jemandem landet, der sich näher damit beschäftigt. Und inzwischen …
    Sie haben über einen halben Häuserblock Vorsprung vor Alex, doch Michael wagt einen Blick über die Schulter, und genau wie er befürchtet hat, holt der Verfolger auf. Alex läuft mit gesenktem Kopf und angelegten Ellbogen; seine Arme bewegen sich mit der Unerbittlichkeit von Zylinderkolben vor und zurück. Seine Schritte haben eine gedankenlose, unermüdliche Reinheit, und einen Moment überkommt Michael die Gewissheit, dass er vor diesem Mann davonrennen könnte, so schnell er es vermag, schneller und weiter, als er je gerannt ist, und dennoch wäre es nicht schnell genug. Sein ganzes Wesen ist durch und durch von Entmutigung und Selbstzweifel durchflochten, und das führt unweigerlich zu einem traurigen, kraftlosen Hang zur Kapitulation. Ein Zebra in der Steppe rennt unaufhörlich, weil sein Hufschlag nicht von Pessimismus behindert wird und seine Atemzüge nicht von Entsetzen unterbrochen werden – je näher der Löwe kommt, desto mehr wird das Zebra eins mit der ausschließlichen Aufgabe der Flucht. Rettung! Rettung! Selbst wenn sich die Kiefer des Löwen schon in seine Hinterhand verbissen haben, versucht das Zebra weiterhin zu entkommen. Aber ein Mensch? Kurzatmig, mit heftigem Seitenstechen und der irrsinnigen Vorstellung, wenn man stehenbliebe und versuchte, mit dem Verfolger zu verhandeln, wäre man besser dran – all dies verschwört sich gegen einen, und Michael fragt sich einen Augenblick:
Welche Chance habe ich überhaupt?
Und destruktiver:
Das hat nichts mit mir zu tun.
Und dann noch destruktiver:
Das ist hoffnungslos …
    Doch in genau diesem Augenblick umklammert Adam Michaels Hand fester, Alice drückt seine andere Hand, und durch die kindliche, vertrauensvolle Berührung der Zwillinge ist sein Schicksal besiegelt. Er kann und wird sie nicht im Stich lassen. Er wird ihnen nicht sagen, sie sollten auf ihren Vater hören. Er wird nicht versuchen, sie davon zu überzeugen, es sei doch alles nicht so schlimm, wie sie es sich vorstellten. Er wird sie nicht mit Phantasien umgarnen, die allmächtige Polizei werde ihnen zu Hilfe kommen. Mit der Berührung ihrer Hände haben sie etwas gesagt, das mehr ist als
Ich hab dich lieb
, mehr als Sehnsucht, mehr als jede Emotion und jede Verpflichtung, die Michael je erlebt hat. Sie haben gesagt:
Ich vertraue dir mein Leben an
, und die Gewaltigkeit dieser Aussage gibt ihm Auftrieb und macht ihn pflichtbewusst.
    »Auf der Madison geht es nach rechts«, sagt er zu den beiden. »Und lauft – los, laufen wir, laufen wir!«
    Adam wirft ihm einen anerkennenden Blick zu, der zu tief und zu umfassend ist, um als dankbar bezeichnet zu werden. Er spricht von einer Verbundenheit jenseits der menschlichen Richtschnur dessen, was verlangt und was gewährt wird, von einem Gefühl der Einheit, das aus dem Wort »Danke« einen Ausdruck purer Höflichkeit machen würde, nicht weniger schal als »Einen schönen Tag noch!«. Alice hebt Michaels Hand, sodass deren Knöchel leicht ihre Wange berühren, und das ist wie ein mit Tinte unterzeichneter Vertrag. Nein: mit Fleisch und Blut.
    In der Zeit, die Michael für diese Gedanken gebraucht hat, hat Alex den Abstand zu den dreien verringert, von etwa sechzig auf knapp dreißig Meter. Wenn es bei diesem Wettkampf um Geschwindigkeit geht, dann werden die drei verlieren, das ist Michael klar.
    »Unsere größte Hoffnung ist, dass er keine Szene machen will«, sagt Michael zu den

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