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Breed: Roman (German Edition)

Breed: Roman (German Edition)

Titel: Breed: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chase Novak
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Xavier. »Wir müssen es über die grüne Ampel schaffen.«
    »Das schaffen wir schon.«
    Als das Taxi beschleunigt, bleibt der Mann mitten auf der Straße stehen. Hinter ihm tauchen Scheinwerfer auf, und einen Moment lang denkt Xavier, er würde gleich sehen, wie der Mann unter die Räder des nahenden Wagens gerät. Doch im letzten Augenblick tritt er aus dem Weg und entschwindet in die Dunkelheit.
    Xavier entspannt sich. Er lehnt sich zurück und schließt einen Moment die Augen, doch während er das tut, spürt er, wie das Taxi langsamer wird. Sie haben es doch nicht über die Kreuzung geschafft. Die Ampel leuchtet tiefrot, eine Schusswunde in der Dunkelheit. Xavier dreht sich auf seinem Sitz wieder nach hinten, um aus dem Rückfenster zu schauen, und da wird die rechte Hintertür des Taxis aufgerissen.
    Alles geschieht so schnell, dass der Fahrer kaum Zeit zu reagieren hat. Xavier spürt, wie die starken Hände des Mannes ihn an seiner Jacke packen, er riecht den strengen, fleischigen Atem des Mannes, während dieser ihn zu sich heranzieht. Wie in einem grässlichen Traum gefangen, wird er vom Sitz gehoben und aus dem Taxi gezerrt. Durch das chaotische Pochen des Bluts in seinen Ohren und das Geräusch seiner entsetzten Schreie hört er nur undeutlich, wie der Fahrer um Hilfe ruft. Er spürt die Hand des Angreifers an seinem Kinn. Ein Finger mit einem scharfen Nagel schiebt sich in sein Nasenloch, ein anderer presst sich an den Rand eines Auges. Plötzlich schwindet sein Bewusstsein, als wäre sein Gehirn ein elektrisches Gerät, dessen Stecker gerade jemand mit einem Fußtritt aus der Steckdose befördert hat.
     
    Jahrelang hat Adam sich gefragt, wie wohl die Nacht außerhalb der Wände seines verschlossenen Zimmers ist. So oft hat er von seinem Vater gehört, was Kindern nachts alles zustoßen kann; ein Grund nach dem anderen ist angeführt worden, um das Einsperren von Adam und Alice zu rechtfertigen. Er hat von Räubern und Messerstechern und Kidnappern gehört. Man hat ihm beigebracht, jene Bewohner der Stadt zu fürchten, denen es weniger gut geht als ihm und seiner Familie, jenen unterprivilegierten Massen, die es satthaben, unterprivilegiert zu sein, und die jeden Moment durch die unbewachten Tore von Manhattans hübschesten Wohnvierteln stürmen können, Rachedurst im Herzen und Mordlust in den Augen. Doch so sehr man ihm auch eingetrichtert hat, die Nacht und ihre zahllosen Gefahren zu fürchten, was Adam wirklich zu fürchten gelernt hat, ist das düstere Klicken des Schlosses, nachdem seine Tür zugegangen ist, jenes endgültige metallische Schnappen, das sagt: Du musst hier drin bleiben.
    Als Adam älter geworden ist, hat er sich mit einer blinden, verzehrenden Leidenschaft nach Freiheit von diesem verschlossenen Zimmer gesehnt, samt dem Bett, dem Tisch, dem Teppich, dem vergitterten Fenster. Und als ihm klar wurde, dass seine Eltern ihn und seine Schwester nicht vor Schlimmem bewahren wollten, sondern an einem Ort eingesperrt haben, der für die Zwillinge womöglich weniger sicher ist als jeder andere Ort auf der Welt, ist sein Wunsch zu entkommen zu einer Art Manie geworden. Doch nun, da er endlich draußen in der Nacht ist, draußen in der großen, weiten Welt, endlich frei, da ist er verblüfft und traurig, weil er merkt, dass sein Herz überhaupt nicht von Freude erfüllt ist. Hat er hier in dieser fremden Wohnung, in diesem merkwürdigen, kalten Raum, womöglich mehr Angst als früher, als er in seinem eigenen Zimmer eingesperrt war? Wohl nicht. Aber hier ist die Angst weniger vertraut, und deshalb ist es irgendwie schmerzhafter und beunruhigender, sie zu spüren.
    Gerade eben aufgewacht, breitet er die Arme aus, um festzustellen, ob sie von einer Seite von Mr. Medoffs Bett bis zur anderen reichen. Er starrt an die Decke und betrachtet die matte, irgendwie betrübende kleine Glühbirne dort, die sich hinter einem Milchglasschirm verbirgt. In der Wölbung des Schirms liegt ein Dutzend ausgedörrte Fliegen. Er hört Michaels Schritte im Nebenzimmer. Wie seltsam muss es sein, in einer so kleinen Wohnung zu leben, wo man nie richtig Abstand von den anderen Bewohnern hat. Er hört, wie Michael sich räuspert. Das klingt fast so, als wäre der Lehrer direkt hier in diesem Zimmer und würde neben ihm stehen. Als Nächstes hört Adam das elektronische Piepen von Telefontasten, die gedrückt werden.
    Ich will am Leben bleiben
, denkt Adam. Ein ganz einfacher Gedanke, doch das sind Worte, die sich noch

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