Breed: Roman (German Edition)
Brustwarzen sind braune Knöpfe, sein Bauchnabel steht heraus und ist hart – er sieht wie ein Bienenkorb aus. Am merkwürdigsten aber ist, dass sich auf seiner Brust bereits eine Behaarung bildet.
»Mein Rücken fühlt sich komisch an«, sagt Adam.
Er dreht sich um, und Michael sieht, dass sein Rücken zerkratzt ist, als wäre seine Haut Einwickelpapier und jemand übermäßig begierig darauf gewesen, das Geschenk darin zu sehen.
»Du lieber Himmel, Adam, was ist denn da passiert?«
»Ist es schlimm?«
»Ja. Tut das nicht weh? Es sieht richtig schlimm aus.«
Adams kleine, runde Schultern zucken auf und ab. Er ist ganz still, doch er weint. Er verhüllt sein Gesicht mit dem T-Shirt.
»Also, das ist ja völlig wahnsinnig. Wir müssen dich sofort ins Krankenhaus bringen. Was zum Teufel ist dir nur zugestoßen, Adam? Hat dich jemand überfallen?«
Die Kratzer sind tiefrot, und die Haut entlang den Rändern ist dunkelviolett. Michael zwingt sich, nicht den Blick abzuwenden, und versucht, seinen Gesichtsausdruck zu kontrollieren – er spürt, wie sein Grimassieren an den Muskeln in seinem Gesicht und seinem Hals zieht.
»Ist schon okay, ich wollte bloß wissen, ob es blutet«, sagt Adam. »Es fühlt sich nämlich feucht an.«
»Nein, es blutet nicht. Zieh dein T-Shirt an.«
»Dann wird das aber schmutzig.«
»Das ist egal. Wir müssen das behandeln lassen.«
Adam schlüpft in das T-Shirt, zieht es nach unten und sieht seinen Lehrer an. »Es wird schon von allein wieder gut.«
»Was tust du hier, Adam? Was ist dir zugestoßen? Was läuft da überhaupt? Wer soll sich eigentlich um dich kümmern? Ich kann kaum glauben, dass deine Eltern einfach nach Montreal gereist sind und dich und deine Schwester allein gelassen haben.«
Als seine Schwester erwähnt wird, nimmt Adams Gesicht einen Ausdruck der Angst und Verzweiflung an.
»Ich muss bloß irgendwo schlafen.«
»Sagst du mir jetzt endlich, was dir zugestoßen ist?«
»Ich bin hingefallen. Im Central Park. Von ein paar Felsen, auf die ich geklettert bin.«
»Das sieht aber nach tiefen Kratzern aus.«
Adam antwortet nicht sofort, doch dann schüttelt er den Kopf. »Nein. Ich bin hingefallen.«
»Wo ist überhaupt deine Schwester? Wo ist Alice?«
Adam streckt zögernd die Hand nach dem Bett aus und berührt es, zuerst nur mit den Fingerspitzen und dann mit der ganzen Hand. Bevor Michael ihn fragen kann, was er vorhat, kollabiert der Junge mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, zieht die Knie zur Brust und schiebt sich eine Hand unter den Kopf.
»Adam?« Michael steht über dem Jungen, der offenbar in tiefem Schlaf versunken ist. Ein Schlaganfall, ein Giftpfeil, ja der Tod selbst hätten das Bewusstsein nicht so rasch und so vollständig auslöschen können. Behutsam rüttelt Michael den Jungen an der Schulter. »Adam? Hör mal, Junge, du kannst doch nicht einfach …« Wieder rüttelt er an der Schulter, diesmal ein wenig kräftiger. Ein tiefes, vibrierendes Geräusch entringt sich dem Jungen, etwas zwischen einem Stöhnen und einem Knurren. Es rührt an eine urtümliche Instanz in Michael und lässt sein Blut erstarren. Die Härchen an seinen Armen stellen sich auf. Er hält den Atem an, als er einen Schritt zurückweicht.
Da das Bett nun belegt ist und nur ein einzelnes Sofa im Apartment steht, fährt Xavier an diesem Abend in den Norden der Stadt nach Inwood, um in der Wohnung seiner Schwester zu schlafen. Kurz nachdem diese mit ihrem Mann Raul von Havanna nach New York übergesiedelt ist, haben die beiden sich getrennt – er ist nach New Haven gezogen, um in Yale als Wachmann zu arbeiten. Das ist aus dem guten Grund geschehen, einen dringend benötigten Job anzunehmen, aber inzwischen hat er sich dort in eine Frau aus Bridgeport verliebt, mit der er jeden freien Augenblick verbringt. Darüber haben sie zwar nie gesprochen, aber Rosalie weiß es trotzdem, und nun sind die langen New Yorker Nächte besonders einsam für sie.
»Bring mir eine Schachtel Winston«, sagt Rosalie am Telefon. »Und den Zucker. Hab ich Kaffee für morgen.« Ihr Englisch ist immer noch ein wenig abenteuerlich, aber sie weigert sich, mit ihrem Bruder oder irgendjemand anders Spanisch zu sprechen. Vielleicht liegt es teilweise daran, dass Raul geflüchtet ist, denkt Xavier. Und an ihrem herrschsüchtigen Verhalten. Allerdings fühlt er sich schlecht, weil er so etwas denkt und nicht einfach nur dankbar für ihre Großzügigkeit ist; wen sonst könnte er in dieser Stadt
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