Breit - Mein Leben als Kiffer
Silke verschwinden plötzlich
um die Ecke. Ich habe das unangenehme
Gefühl, dass sie mich loswerden wollen, indem
sie mich einfach abhängen. Mir doch egal. Ich
will keinem meine Gesellschaft aufzwingen. Es
läuft also darauf hinaus, dass ich alleine über
das Gelände laufe und die Eindrücke in mich
aufsauge. Die vielen Menschen, die krassen
Hip-Hop-Typen, die lauten Bässe, das
Graffitizelt und der legendäre Sprüher See –
begeistert wandere ich mit offenen Augen und
Ohren durch die Massen und kann nicht genug
kriegen von dieser Stimmung. Nach ein paar
Stunden merke ich dann doch, wie
mitgenommen ich von der Fahrt und den vielen
Eindrücken bin, und lege mich für heute
schlafen.
Am nächsten Tag kommt meine Mutter an,
sie will ein paar Interviews für einen Artikel
über Hip Hop führen. Ich will auf diesem Fest
nicht so viel mit ihr zu tun haben und lieber
meine Zeit als Teil des Publikums verbringen.
Dies hier ist meine Welt, nicht ihre. Hier hat sie
eigentlich nichts verloren.
- 228 -
Deshalb treffe ich sie auch nur kurz und
verabrede mich mit ihr für die Rückfahrt am
nächsten Morgen. Dann wandere ich den
ganzen Tag allein über das Festivalgelände,
höre verschiedenen Acts zu und genieße die
Stimmung, die Sonne und das Kiffen. Ferris MC,
Kool Savage, Samy Deluxe, Rhazel – alle
großen Hip-Hop-Acts sind da. Ich stehe in der
Masse vor der Bühne, singe laut mit, hüpfe im
Takt der Musik mit Gleichgesinnten auf und ab.
Ein berauschendes Gefühl der Freiheit
durchströmt mich.
Als ich gerade einem legendären
Beatboxkünstler aus den USA zuhöre, fordert
der auf einmal das Publikum wiederholt auf,
«Amon Ra» zu brüllen. Da macht es plötzlich
Klick, und ich verliere den klaren Verstand. Ist
dieses Konzert nur eine für mich hergestellte
Illusion? Wieso weiß der Künstler von mir und
lässt die Menge meinen Namen rufen? Will er
mich quälen? Ich gehe verwirrt durch die
Menschenmenge. Von allen Seiten schauen
mich Gesichter mit Joints im Mund an, als
wüssten sie, wer ich bin und was ich denke.
Mein Puls beginnt zu rasen, ich bekomme
Panik, bahne mir den Weg durch die immer
dichter werdende Menschenmasse – Luft!
Endlich draußen. Schnell zum Zelt, ich muss
schlafen, vergessen. Doch ich höre sie weiter
meinen Namen rufen. Immer wieder. Ich gehe
noch einmal zurück und gelange in ein zweites,
- 229 -
kleineres Zelt, in dem gleich Ferris MC auftreten
soll. Alle tanzen auf verwirrende Art im
Stroboskoplicht: eine außer Kontrolle geratene
Masse. Hastig flüchte ich wieder zurück in mein
Zelt. Ich begreife nicht, was das für Menschen
sind, die sich so verhalten und gemeinsam Jagd
auf mich machen, die sich in meine Gedanken
einklinken. Es ist eine einfache Gleichung, eine
Formel, die ich in meinem Kopf zu beweisen
versuche: Wenn die mich denken hören
können, sind das keine Menschen. Wenn das
keine Menschen sind, ist die Realität nicht das,
was sie scheint. Wenn die Realität nicht das ist,
was sie scheint, ist sie nur eine Illusion. Und
wenn sie nur eine Illusion ist – kann es dann
nicht sein, dass ich in einem
Computerprogramm lebe? Ich muss an das
Torch -Album denken. In einem der Lieder geht
es auch um die Irrealität der Wirklichkeit. Es
wird angedeutet, dass wir nicht wissen können,
ob Feuer, Wasser und Wind das sind, wofür wir
sie halten. Gerade jetzt erscheint mir das
durchaus möglich.
Nach einer Weile falle ich in einen unruhigen
Schlaf.
Am nächsten Morgen fahre ich mit meiner
Mutter zurück nach Hamburg. Zum Glück ist
heute, am helllichten Tag, nichts mehr von
diesem verrückten Film übrig.
«Ja, Mama», lüge ich, ohne darüber
nachzudenken, «das Konzert hat wirklich Spaß
- 230 -
gemacht. Mit meinen Freunden war es einfach
super.»
Schlägereien und Theater
Florian und ich haben Stress. Das Ganze hat
sich während der Ferien aufgestaut: Offenbar
scheint Florian sich ein Beispiel an Dirk nehmen
zu wollen und macht immer heftigere Sprüche
über mich und die anderen. Dann haben wir
uns darüber gestritten, wer bei wem
Kifferschulden hat, und er hat sich von mir Geld
für ein Konzert geliehen, ohne es mir
zurückzugeben. Ich fühle mich an die
Demütigung durch Dirk erinnert und sage mir:
diesmal nicht. Diesmal bekomme ich mein Geld
zurück. Aus mir macht ihr niemanden, den ihr
nach Belieben abzocken könnt.
Als die Jungs und ich heute bei mir kiffen,
bedrohe ich Florian,
Weitere Kostenlose Bücher