Brenda Joyce
verlor.
»Das kann doch nicht wahr sein.« Sie wandte sich Hart zu, der
soeben ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatte. »Kinder als
Prostituierte? Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, aber Bragg ist sich so
sicher, dass es um Ausbeuterbetriebe geht.« Sie begann zu zittern.
»Versuche
nur ja nicht aufzustehen«, sagte Hart warnend. »Mein ach so edelmütiger Bruder
hat dich angelogen.«
»Aber
wieso?« Insgeheim kannte Francesca die Antwort bereits.
»Um deine zarten Gefühle zu schonen«, versetzte er nüchtern. »Und
um zu verhindern, dass du dir allzu große Sorgen machst.«
Francesca schlang die Arme um ihren Leib. In Wahrheit hatte sie
etwas Derartiges bereits vermutet – warum sonst waren ausgerechnet lauter
auffallend hübsche Mädchen verschwunden? Wenn sie daran dachte, wurde ihr ganz
übel. Welches Martyrium mussten diese Kinder wohl erleiden? »Wir müssen die
Mädchen finden, bevor es zu spät ist. Wir müssen sie unbedingt retten, Calder.«
Er erwiderte nichts, sondern begann im Zimmer auf und ab zu
schreiten, ohne sie dabei anzusehen. Im Gehen zog er sein Jackett aus und warf
es achtlos über einen Sessel. Er verfehlte die Lehne, und das Jackett fiel zu
Boden, doch er schien es kaum wahrzunehmen. Wie er da unruhig mit großen Schritten
auf und ab lief, erinnerte er Francesca an einen Tiger im Käfig, den sie einmal
im Zoo gesehen hatte.
Dennoch konnte Francesca nicht
umhin, ihn zu bewundern: Obwohl er wegen ihrer Verletzung zutiefst aufgebracht
war, blieb er äußerlich ruhig und beherrscht wie ein General auf dem
Schlachtfeld. In Augenblicken wie diesem verhielt er sich ebenso heldenhaft wie
Bragg, fand Francesca, und bei diesem Gedanken wurde ihr seltsam beklommen ums
Herz. Der größte Unterschied zwischen den beiden Halbbrüdern bestand darin,
dass Hart die Dinge stets unverblümt beim Namen nannte.
Hart, der ja bereits seinen Binder abgenommen hatte, um damit die
Wunde an ihrem Hals abzudecken, öffnete nun den obersten Knopf seines Kragens
und wandte sich ihr zu. Sein Gesicht war wie in Stein gemeißelt, eine Miene wütender
Entschlossenheit, die seiner gefährlichen und ach so verführerischen
Anziehungskraft keinen Abbruch tat. Francesca fuhr sich mit der Zunge über die
Lippen. »Besteht die Möglichkeit, dass du dich irrst?«, flüsterte sie. »Könnte
es sein, dass Bragg recht hat und diese Mädchen gezwungen werden, für einen
Ausbeuterbetrieb zu arbeiten?«
Hart starrte auf sie hinab.
»Ich glaube nicht, dass ich mich irre. Für einen Ausbeuterbetrieb würden sie
jüngere Kinder entführen, die viel leichter zu kontrollieren wären. Außerdem
habe ich erst kürzlich zufällig eine Unterhaltung zwischen zwei Fremden
mitangehört, die über ein neues Bordell sprachen, in dem Reinheit und Unschuld
angeboten werden.« Sein Blick wich nicht von ihrem Gesicht. »Soweit ich mich erinnere,
waren das ihre Worte: 'Reinheit und Unschuld'.« Die Mädchen wurden also in
einem Bordell festgehalten. Der Gedanke daran war einfach zu entsetzlich.
Francesca spürte, wie ihr die Tränen kamen.
Sie
durfte diese Kinder nicht im Stich lassen.
Hart war sofort an ihrer Seite, kniete vor
ihr nieder. »Weine doch nicht, Liebling. Du kannst nicht die ganze Welt retten«,
flüsterte er und hob mit einer Hand ihr Kinn an. Ihre Lippen zitterten, so sehr
sie sich auch bemühte, das Weinen zu unterdrücken. Sie sah in seine
dunkelblauen Augen mit den goldenen und bernsteinfarbenen Sprenkeln und
flüsterte: »Aber ich kann es versuchen.«
»Ja, das kannst du – aber vielleicht mit ein bisschen weniger
Leidenschaft?« Die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Gesicht, doch er
blickte sie forschend an.
»Calder, das Elend dieser Kinder ...« Sie fand keine Worte,
schmiegte sich in seine Arme, legte die Wange an seine Brust und glitt dabei
vom Sofa auf die Knie.
Hart zog ihre Hutnadel heraus, warf den Hut auf das Sofa und
strich ihr über das Haar. »Ich weiß, Liebling, ich weiß.« Er gab ihr einen Kuss
auf die Wange, und dann verharrten seine Lippen reglos an ihrer Haut.
Francesca spürte, wie sich die Bestie regte.
Sein Mund blieb gegen ihre Wange gepresst, und mit einem Mal
brach Harts Verlangen mit der Wucht eines Schlages über Francesca herein.
Für einen Augenblick blieb ihr das Herz stehen, und als es wieder zu schlagen
begann, strömte heißes Blut durch ihre Adern. Das Verlangen, das so plötzlich
erwacht war, ließ sich nicht verleugnen.
Er wich zurück, und ihre
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