Brenda Joyce
kommen Sie
herein, Miss Cahill«, sagte er.
Es war weniger eine Einladung, als ein Befehl. Francesca trat mit
klopfendem Herzen wieder in den Salon, worauf Bragg die Tür hinter ihr schloss.
Kapitel 3
SONNTAG,
19. JANUAR 1902 – 11 UHR
Bragg trat auf Burton zu. »Robert, bitte lesen Sie das hier«,
sagte er ruhig, doch sein Gesichtsausdruck verriet seine innere Anspannung.
Mit zitternden Händen nahm Robert Burton den Brief entgegen und
las den Text schweigend.
»Was steht denn drin?«, rief Eliza. Ihre Augen waren verweint.
»Großer Gott, was steht drin?«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Burton und reichte Bragg den Brief
zurück.
Einem inneren Impuls folgend trat Francesca neben Eliza und legte
ihr die Hand auf die Schulter. Doch Eliza bemerkte es gar nicht.
»Dürfte ich
den Brief bitte sehen?«, fragte sie.
Bragg
reichte ihn ihr.
»Robert, fällt Ihnen jemand ein, der einen
Groll gegen Sie oder Ihre Frau hegen könnte und der dazu fähig wäre,
einen Ihrer Söhne zu entführen und einen solchen Brief zu
schreiben?«, erkundigte sich Bragg grimmig mit einem Seitenblick auf Francesca.
Burton schüttelte den Kopf. »Ich nehme an,
dass ich mir im Laufe der Jahre einige geschäftliche Feinde gemacht habe, aber
... Großer Gott, nein, ich kenne niemanden, der so wahnsinnig wäre, mein Kind
aus seinem Bett zu stehlen!«
Als er diese Worte aussprach, sah es aus, als würde auch er jeden
Moment in Tränen ausbrechen.
»Miss Cahill.« Die Worte kamen
wie ein Peitschenhieb.
Francesca erstarrte und blickte
in Braggs finster dreinblickende Augen. »Ja?«
»Beschreiben Sie mir ganz genau, wie und wo Sie diesen Brief
gefunden haben.«
Sie schluckte. Die Tatsache, dass der Polizeipräsident ihr seine
volle Aufmerksamkeit schenkte, verursachte eine beinahe unerträgliche Spannung
in ihr. Oder bildete sie sich das angesichts der schrecklichen Situation, in
der sie sich befanden, nur ein?
»Ich sagte es Ihnen ja bereits. Es war
ungefähr gegen zehn Uhr am gestrigen Abend, und ich saß an Papas Schreibtisch
in der Bibliothek. Ich habe nachgedacht.« Als sie sich erinnerte, aus welchem
Grund sie sich in der Bibliothek verkrochen hatte, zögerte Francesca einen
Moment lang. Um Braggs Blick zu entgehen, starrte sie zu Boden und fuhr fort:
»Auf dem Schreibtisch lag die Tagespost. Ich sah den Umschlag mit dem
maschinengeschriebenen Schriftzug »Dringend«. Das kam mir so
seltsam vor, dass ich den Brief öffnete.«
Sie blickte auf, sah, dass Bragg sie anstarrte, und fügte rasch
hinzu: »Das hätte ich wohl nicht tun sollen, aber ich habe mir nichts dabei
gedacht.«
Falls Bragg die Ansicht vertrat, dass sie sich falsch verhalten
hatte, so zeigte er dies nicht. Er ging mit festen Schritten in dem kleinen
Salon auf und ab.
Francescas Vater tätschelte ihr die Schulter. »Ist schon gut, Francesca«,
sagte er beruhigend.
Francesca lächelte ihn verzagt an. »Ich hätte den Brief wohl nicht
öffnen sollen. Es tut mir Leid.«
Bragg blickte Cahill an. »Ich benötige eine Liste mit den Namen
der Gäste, die sich am gestrigen Abend in Ihrem Haus befunden haben, und
außerdem eine Liste des gesamten Personals, das in Ihren Diensten steht – auch
die Namen derjenigen, die gestern frei hatten.«
Cahill nickte. »Meine Frau wird
sich darum kümmern.«
Bragg wandte sich dem beleibten
Mann mit dem mächtigen Schnurrbart zu. »Murphy, kümmern Sie sich darum, dass
niemand das Anwesen der Cahills betritt oder verlässt, bis Sie neue Anweisungen
von mir erhalten.«
»Rick ...«, hob Cahill an, doch Bragg ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Es tut mir Leid, Andrew, aber ich habe keine
andere Wahl. Ich muss jeden befragen, der bei Ihnen beschäftigt ist – vorher
darf niemand das Grundstück verlassen.« Er wandte sich erneut an Murphy. »Auch
dieses Haus darf niemand verlassen. Und von Ihnen benötige ich ebenfalls eine
Liste der Angestellten, Robert«, fuhr er an Burton gewandt fort.
Francesca war von dem Respekt einflößenden Auftreten des
Polizeipräsidenten beeindruckt. Er hatte etwas unglaublich Entschlossenes an
sich. Nur widerstrebend gelang es ihr, den Blick von Bragg zu lösen. Sie war
davon überzeugt, dass es diesem Mann gelingen würde, den Entführer von Jonny
Burton aufzuspüren.
»Ich verstehe das nicht«, flüsterte Eliza in diesem Moment. »Warum
sollte jemand so etwas tun? Und warum einen solchen Brief hinterlassen? Was
hat das zu bedeuten?« Erneut rannen ihr die Tränen über die Wangen. Aus
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