Brenda Joyce
Plötzlich erinnerte
sich Francesca daran, wie sie einmal Evan mit einer seiner Mätressen gesehen
hatte – die nicht seine Erste gewesen war. Sie betete ihren Bruder an und hielt
ihn nicht für einen unmoralischen Mann. Sie war davon überzeugt, dass er nun,
da er sich verloben wollte, seine Affären aufgeben würde.
Doch dann rief sie sich in Erinnerung, dass es einen großen
Unterschied zwischen Bragg und Evan gab: Im Unterschied zu ihrem Bruder hatte
Bragg ein Verhältnis mit der Frau eines anderen Mannes.
»Fran... Miss Cahill?« Braggs bernsteinfarbene Augen blickten sie
besorgt an.
»Gibt es Neuigkeiten über die Entführung?«, fragte sie und
verschränkte die Arme fest vor der Brust. Obgleich alles in ihr danach drängte,
vor Bragg zurückzuweichen, tat sie es nicht. Ihr wurde klar, dass sie sich
betrogen fühlte, und es war ein schreckliches Gefühl.
»Nein.« Ein härterer Zug legte sich um seinen Mund. »Haben Sie
gelesen, was in den Zeitungen steht?«
Sie zögerte. »Ja, das habe ich. Leider.«
Wie konnte sie sich betrogen fühlen? Sie waren
doch im Grunde nichts weiter als Fremde, er schuldete ihr nichts, rein gar
nichts. Seine Augen verfinsterten sich.
»Ganz New York hat es gelesen«, sagte er. »Genauso wie die
Burtons.«
»Eliza muss außer sich sein«, erwiderte Francesca, wobei ihr
auffiel, wie hölzern ihre Stimme klang.
»Ich komme gerade von den Burtons«, sagte
Bragg und musterte Francesca leicht verwirrt. »Mrs Burton ist überzeugt, dass
ihr Sohn tot ist.« Dann fügte er hinzu: »Fehlt Ihnen auch ganz bestimmt
nichts?«
Bei diesen Worten meinte Francesca, das Herz
müsse ihr brechen. Wie konnte er es nur wagen, so freundlich zu ihr zu sein, so
voller Mitgefühl? Doch auch wenn Eliza ihren Mann betrog, so änderte dies doch
nichts an der Tatsache, dass sie eine Mutter war, deren Kind vermisst wurde,
ein Kind, das womöglich bereits den Tod gefunden hatte. Francesca brachte es
nicht über sich, Verachtung für sie zu empfinden.
»Haben Sie Dr. Finny gerufen?«, erkundigte sie
sich. »Soll ich hinübergehen und schauen, ob ich etwas für Eliza tun kann?«
Ihre Reaktion schien Bragg zu erleichtern. »Ich habe Finny
angerufen. Mrs Burton hat sich in ihre Räumlichkeiten zurückgezogen. Ich
möchte bezweifeln, dass sie augenblicklich irgendjemanden empfangt«, sagte
Bragg.
Sie hat sie
aber empfangen, dachte Francesca unbarmherzig. »Wem haben Sie von der vierten
Nachricht erzählt?«, fragte er unvermittelt. »Oder besser gesagt, von dem
Umschlag mit dem Ohr?«
Francesca blickte ihn erstaunt an.
»Niemandem«, antwortete sie mit fester
Stimme.
Bragg betrachtete sie forschend, nickte und
schien sich zu entspannen. »Tut mir Leid. Ich musste das fragen. Ich bin sehr
wütend auf die Times, weil sie diesen Artikel gebracht hat. Er könnte
den Ermittlungen in höchstem Maße schaden.«
»Ich schwöre Ihnen, ich habe niemandem ein Sterbenswörtchen
darüber verraten, was sich in dem vierten Umschlag befand«, sagte Francesca.
»Ich glaube Ihnen.« Bragg seufzte. »Leider hege ich nur geringe
Zweifel daran, dass die undichte Stelle in meiner eigenen Abteilung zu finden
ist.« Er seufzte erneut.
Francesca schlang die Arme um ihren Körper.
»Was macht Sie da so sicher?« Francesca selbst war der Ansicht,
dass Beth Anne der ganzen Welt von der dritten Nachricht des Entführers erzählt
hatte.
»Auch wenn es sich bei der Entführung um einen Fall von höchster
Geheimhaltungsstufe handelt – was bedeutet, dass nur eine Hand voll
Kriminalbeamter daran arbeiten, die zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtet
sind –, mussten wir auch Techniker hinzuziehen. Womöglich ist einer von ihnen bestochen worden.« Er runzelte die Stirn.
»Zwar sind die Kriminalbeamten von mir persönlich ausgesucht worden, aber ich
kann trotzdem nicht sicher sein, dass die undichte Stelle nicht bei einem
dieser Detectives zu suchen ist.«
»Das tut mir Leid«, sagte Francesca, und es
war ihr ernst damit.
Für einen Moment herrschte Schweigen, das sich
rasch in eine peinliche Stille verwandelte. Francesca musste unablässig an die
Szene denken, die sie wenige Minuten zuvor durch ihr Opernglas beobachtet hatte.
Der Polizeipräsident musterte sie aufs Neue. Francescas Verhalten schien ihn
zu verwirren. Ganz offensichtlich hatte er bemerkt, dass sie etwas bedrückte.
Nach einer Weile sagte er: »Ich muss mich auf den Weg machen. Wenn
irgendetwas Sie beunruhigen sollte, Francesca, scheuen Sie sich nicht, es
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