Brenda Joyce
zur
Sprache zu bringen.«
Sie lächelte kokett. Zu kokett. »Wie um alles in der Welt kommen
Sie darauf, dass mich etwas beunruhigen könnte? Außer der Tatsache, dass ein
unschuldiges Kind unter entsetzlichen Umständen verschwunden ist?«
»Wir haben uns zwar erst vor kurzem kennen
gelernt«, sagte Bragg mit einem kleinen Lächeln; das ihr traurig erschien,
»aber ich habe das Gefühl, dass wir in gewisser Weise Freunde geworden sind.
Ich habe ein Gespür für Menschen und kann sie recht gut einschätzen.
Irgendetwas stimmt nicht. Da bin ich mir sicher.«
»Es ist wirklich alles in Ordnung«, erwiderte Francesca. »Dieses
Mal täuschen Sie sich, Commissioner.«
Er starrte sie an, denn ihr scharfer Tonfall war alles andere als
freundlich gewesen. Dann sagte er: »Ich hoffe sehr, dass der Grund nicht in
irgendetwas zu finden ist, das ich unabsichtlich getan habe.«
Francesca
wäre beinahe der Mund offen stehen geblieben. »Nun, dann werde ich mich jetzt
verabschieden. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen«, antwortete Francesca. Dieses Mal begleitete
sie den Commissioner nicht bis zur Tür.
Sie beschloss, das Seminar zu schwänzen. Es gab einfach zu viel zu
tun, und immerhin stand das Leben eines kleinen Jungen auf dem Spiel. Francesca
hatte beschlossen, so lange anzunehmen, dass Jonny Burton am Leben war, bis ihr
jemand das Gegenteil bewies.
Sie schlüpfte in eine taillierte, schwarz-grau
gemusterte Jacke, die zu ihrem maßgefertigten Rock passte. Beide Kleidungsstücke
waren wunderschön gearbeitet, mit feinem Litzenbesatz an Manschetten und Saum.
Sie setzte einen schwarzen Hut mit kecken Straußenfedern auf, ergriff ihre
Börse und eilte nach unten. Sie nahm sich vor, keinen Gedanken mehr an Braggs
Affäre mit Eliza zu verschwenden.
Als sie im Erdgeschoss eintraf, öffnete sich
gerade die Haustür, und Connie trat ein, mit dem in warme Decken gehüllten
Baby auf dem Arm, gefolgt von Mrs Partridge und der dreijährigen Charlotte.
Charlotte sah ihrer Mutter sehr ähnlich.
Allerdings war ihr blondes Haar noch so hell, dass es beinahe weiß wirkte. Als
sie Francesca erblickte, fingen ihre blauen Augen an zu strahlen.
»Tante! Tante!«, rief sie begeistert.
Francesca lächelte und breitete die Arme aus. »Komm her,
Aschenputtel!«
Aschenputtel war Charlottes Lieblingsmärchen, und irgendwie war
der Kosename dadurch entstanden und haften geblieben.
Charlotte befreite ihre kleine, behandschuhte Hand aus der ihres Kindermädchens
und stürmte vor Freude kreischend auf Francesca zu.
»Hallo!«, rief Connie fröhlich. »Wir haben uns
entschlossen, vorbeizukommen und mit dir zu frühstücken, Fran.«
Charlotte sprang mit einem solchen Satz in
Francescas Arme, dass ihr der marineblaue Mantel, der Rock und der Petticoat
bis über die Knie hinaufrutschten. Francesca hob sie hoch über sich in die
Luft. Charlotte lachte.
»Höher, Tante Fran!«, juchzte sie.
»Noch höher, und du landest im Himmel, mein
Schatz«, sagte Francesca, drückte die Kleine ein bisschen zu fest und setzte sie wieder auf dem Boden ab. Dann musterte sie
ihre Schwester kritisch. Connie sah müde aus. »Con, du hast
gestern Abend eine Dinnerparty gegeben. Wir sind erst
um Mitternacht gegangen! Warum liegst du
nicht noch gemütlich im Bett? Vielleicht mit einem Kakao und Harper's
Weekly? Oder besser noch mit dem neuen Katalog von Sears?«
Connie warf ihr einen viel sagenden Blick zu.
»Bin ich jemals eine Langschläferin gewesen? Und außerdem sind die Mädchen
spätestens um sieben Uhr munter, kleine Schwester.«
Francesca trat auf Connie zu, um sich den
schlafenden Säugling anzusehen. Lucinda war erst acht Monate alt. Francesca
lächelte beim Anblick des pausbäckigen kleinen Gesichts. Eigenartigerweise
hatte Lucinda rotes Haar und die dazu passende Alabasterhaut.
»Die Party war wundervoll, Con. Das Essen, die Gäste – es war
einfach alles perfekt«, sagte Francesca, während sie Lucindas glatte, kleine
Wange streichelte.
Connie lächelte. »Vielen Dank. Das ist sehr
nett von dir. Mama sagt ja nie ein Wort«, fügte sie bekümmert hinzu.
Francesca tätschelte ihrer Schwester den
Rücken. »Mama hat mir aber gesagt, dass es ein ganz reizender Abend gewesen
sei«, erzählte sie wahrheitsgemäß. »Du weißt doch, wie sie ist. Es liegt
einfach nicht in ihrer Natur, uns zu loben, Con.«
»Ja, da hast du Recht. Aber ich wünschte trotzdem, sie hätte es mir gesagt«, entgegnete Connie seufzend und verlagerte Lucindas Gewicht
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