Brenda Joyce
auffiel, wie nahe sie beieinander standen – was zweifellos der Grund
war, warum sie nicht vor Kälte zitterte. Doch Bragg trug nicht einmal einen
Mantel. Sie blickte zum Haus hinauf. »Vielleicht sollten wir hineingehen,
Bragg, bevor Sie sich eine Lungenentzündung holen.«
»Ich werde Sie nach Hause begleiten lassen. Ich will ohnehin
gleich gehen.« In seinem Blick lag plötzlich eine gewisse Trostlosigkeit und
Erschöpfung.
Francesca ergriff seinen Arm, bevor er sich abwenden konnte. »Was
ist geschehen?«, wiederholte sie ängstlich.
»Eine weitere
Nachricht.«
Ihre Blicke trafen sich, und Francesca
bemerkte, dass sie unwillkürlich den Atem anhielt und Braggs Hand umklammerte.
Sie war hart und schwielig und entsprach ganz und gar nicht der manikürten Hand
eines Gentlemans.
»Oh,
nein!«, stöhnte Francesca.
Er befreite sich aus ihrem Griff und fuhr sich mit den Händen
durch das goldbraune Haar.
»Verdammt!«, sagte er. » Verdammt.«
Francesca nahm Bragg das Fluchen nicht übel,
schließlich hatte sie an diesem Abend schon schlimmere Worte gehört. Ihre Augen
füllten sich mit Tränen, Tränen, die sie um Jonny weinte, denn sie wusste mit
einem Mal, dass er tot sein musste. »Erzählen Sie mir davon.«
Er blickte sie an, und sie sah,
dass auch in seinen Augen Tränen schimmerten. »Das sollte ich besser nicht
tun.«
Francesca wischte sich mit dem
Handrücken über die Augen. »Nicht weinen«, flüsterte er.
Ihre
Blicke trafen sich, und Bragg nickte langsam.
»Seine Kleider«, sagte er tonlos. »Der
Schlafanzug, den er trug, als er entführt wurde. Die Nachricht war daran befestigt.
Der Anzug lag auf seinem Bett, voller Dreck, blutbefleckt und steif gefroren.
Die Nachricht lautete: D steht für Dinosaurier.«
»D steht
für Dinosaurier«, flüsterte Francesca.
»James hat den Schlafanzug mit dem Zettel gefunden«, sagte Bragg
mit rauer Stimme. »Er hat die Sachen seines Bruders gefunden, als er zu Bett
gehen wollte.«
Vor
Entsetzen liefen Francesca die Tränen über die Wangen. »Ich dachte, James sei
zu seinen Großeltern geschickt worden.«
Bragg schüttelte den Kopf. »Eliza hat es nicht
ausgehalten, von ihm getrennt zu sein. Er ist heute Nachmittag nach Hause
zurückgekehrt. Es ist nur allzu verständlich, wie ich finde.«
Auch Francesca war voller Verständnis für
Elizas Verhalten. Wenn sie an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte sie ihr anderes
Kind ebenfalls nicht mehr aus den Augen lassen wollen.
»Wissen
Sie, was die Botschaft bedeutet?«, fragte sie.
»Wir lassen
das Beweisstück gerade untersuchen«, antwortete er, seufzte schwer und blickte
zur Seite. Francesca vermutete, dass es ihm peinlich war, Schwäche gezeigt zu
haben.
»D
steht für Dinosaurier. Die Dinosaurier sind
ausgestorben«, sagte Francesca. »Von ihnen gibt es nur noch Knochen, Bragg.
Knochen.«
Er blickte
sie an. »Knochen?«
Sie fuhr
sich mit der Zunge über die Lippen. Übelkeit stieg in ihr auf. »Wir sollten
nach einem Grab suchen«, flüsterte sie.
Kapitel 11
MITTWOCH, 22. JANUAR
1902 – 8 UHR
»Wach auf!«
Francesca nahm vage die Stimme ihres Bruders
wahr. Sie wollte nicht aufwachen. Sie war so schrecklich müde, dass sie
bezweifelte, ihre Lider heben zu können, ganz zu schweigen davon, auch nur
einen einzigen Muskel zu rühren.
»Wach auf, Fran! Es ist acht Uhr. Heute ist
Mittwoch. Du hast um zehn Uhr ein Seminar.«
Seminar ... Sie hatte am Vortag ihr Seminar in
französischer Literatur geschwänzt, und heute hatte sie drei Seminare. Um zehn
Uhr war Algebra an der Reihe. Was für wundervolle Aussichten!
Während sich Francesca langsam aus den Klauen
der Müdigkeit befreite, kam ihr plötzlich die furchtbare Erkenntnis, warum
sie lieber weiter im Schlaf Zuflucht gesucht hätte.
Jonny
Burton war tot.
Sein schmutziger, steif gefrorener, blutverschmierter Schlafanzug
war auf seinem Bett gefunden worden. Von seinem Zwillingsbruder. Mit der
fünften Nachricht: D steht für Dinosaurier.
Francesca
setzte sich auf.
»Fran?« Evan ließ sich am Fußende ihres Betts nieder. Er blickte
grimmig drein. »Bist du krank?«
Sie sah ihn an. Dinosaurier, Knochen, Grab. Wie einfach dieser
letzte Hinweis doch war.
»Er ist tot, Evan. Da bin ich mir sicher«, flüsterte sie mit
zitternder Stimme und fragte sich, ob sie wohl so elend aussah, wie sie sich
fühlte.
Seine Augen weiteten sich. »Wer? Jonny?«
Sie nickte und schob sich einige Haarsträhnen
aus dem Gesicht. »Es gibt eine weitere Botschaft ... ich
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