Brenda Joyce
am
Dienstagabend gefunden.«
»Das ist korrekt«, sagte Bragg und sie
starrten einander an.
Evans Stimme erklang vom Bett: »Das bedeutet, dass ich sie hätte
ermorden können, bevor ich am Montagnachmittag angegriffen wurde.«
Bragg wandte sich ihm zu. »Richtig. Miss Conway wurde offenbar
irgendwann zwischen Montagmorgen und Montagabend ermordet.«
Kapitel 5
MITTWOCH, 19. FEBRUAR 1902 – MITTAGS
Es hatte
einmal eine Zeit gegeben, da war es ihr leicht gefallen, am Morgen aufzustehen,
zu baden, eine Scheibe Toast zu sich zu nehmen, Tee zu trinken und sich
anzuziehen. Es kam ihr so vor, als sei dies Jahre her. Nun war die morgendliche
Routine zu einer riesigen, ermüdenden Aufgabe geworden, die sich nur mit viel
Mühe bewältigen ließ. Als Connie in dem Haus, das ein Hochzeitsgeschenk ihres
Vaters gewesen war, die Treppe hinunterschritt, dachte sie wieder einmal
darüber nach, dass sie noch vor einem Monat eine glücklich verheiratete Frau gewesen
war. Nun lastete der Schmerz, den sie tagein und tagaus mit sich herumtrug,
schwer auf ihr und erinnerte sie daran, dass sie Neil niemals hätte vertrauen
dürfen.
Aber sie hätte nicht im Traum damit gerechnet, dass er sie derart
verletzen würde.
Neil. Sie sah sein hübsches Gesicht vor sich, aber seine
türkisfarbenen Augen blickten sie anschuldigend an. Erschrocken verbannte sie
sein Antlitz aus ihren Gedanken. Er hatte ihre Ehe verraten, hatte sie belogen
und Ehebruch begangen und nun war sie es, die litt.
Connie wusste nicht, was sie tun sollte. Andere Frauen würden
vielleicht einfach wegschauen, so tun, als sei gar nichts geschehen. Das war
auch der Rat ihrer Mutter gewesen. Connie war sich durchaus bewusst, dass sie
irgendwie weitermachen musste, aber sie fürchtete, dass sie einfach nicht
stark genug dazu war. Und damit steckte sie in einem schrecklichen Dilemma,
denn Scheidung kam in ihrem Wortschatz einfach nicht vor.
Sie schritt in ihrem dunkelblauen Kleid, das
ihr nie wirklich gefallen hatte, weiter die Treppe hinunter und hielt sich
dabei an dem glatten Holz des Geländers fest. Sie bewohnten ein prächtiges
Haus, das nicht weit von der Villa ihrer Eltern auf der Ecke Madison Avenue und
Sixty-Second Street stand. Es hatte drei Stockwerke, gewölbte Decken,
marmorne Kamine und zwei Gästesuiten. Es war im Jahr ihrer Verlobung gebaut
worden, eine Verlobung, die innerhalb von zwei Wochen nach ihrer ersten
Begegnung und Neils stürmischem Werben stattgefunden hatte. Connie wusste
nicht mehr, was sie von ihren Erinnerungen halten sollte. Früher einmal hatte
sie jede einzelne Erinnerung zu schätzen gewusst. Früher einmal war sie sich
sicher gewesen, dass Neil sie ebenso liebte wie sie ihn. Aber jetzt stellte
sie alles in Frage. Sie führten eine Ehe, wie es viele gab – er war ein
verarmter englischer Lord, sie eine reiche amerikanische Erbin. Vielleicht
hatte er sie in Wahrheit nie geliebt. Vielleicht hatte er sie nur wegen ihres
Geldes geheiratet und sie war so dumm gewesen, seine Galanterie für Liebe zu
halten.
Während Connie das Erdgeschoss durchquerte, wischte sie sich
einige Tränen ab. Sie glaubte, an diesem Tag eine Verabredung zum Mittagessen
zu haben, beabsichtigte aber, diese abzusagen. Es war klar, dass sie sich
weiterhin mit ihren Freundinnen und den Ehefrauen von Neils Kompagnons treffen
musste, aber wie sollte sie das nur fertigbringen?
Die ganze Stadt wusste von Neils Affäre. Sie konnte doch nicht einfach im Hotel
Astor bei gegrilltem Wolfsbarsch sitzen, ein freundliches Lächeln aufsetzen und
so tun, als sei nichts geschehen! Und sie war diesen fast schon hämischen
Ausdruck auf den Gesichtern der anderen Damen so leid! Fran hatte Connie
einmal gesagt, dass die ganze Gesellschaft sie um ihre Ehe beneide. Ihr war
schon damals klar gewesen, dass eine nicht geringe Zahl ihrer Freundinnen ihren
Ehemann anbeteten. Und dass Neil, falls ihr jemals etwas zustoßen sollte, nicht
lange allein bleiben würde.
In dem Augenblick hörte sie die Mädchen. Charlotte lachte und
Lucinda stieß ein Protestgeschrei aus. Connie lächelte und ihr wurde ganz warm
ums Herz. Während sie den Mädchen für eine Weile zuhörte, vergaß sie Neil und
den Schmerz über seine Untreue. Für einen kurzen Augenblick war sie wieder
Connie Cahill Montrose, eine lebhafte, schöne, glückliche Frau mit einem
perfekten Ehemann, einer perfekten Ehe, perfekten Kindern – einem perfekten
Leben.
Connie eilte in das Familienzimmer, einen kleinen, gemütlichen
Salon, in
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