Brenda Joyce
Begriffsvermögen,
dass du glaubst, den Helden für sie spielen zu
können!« Er beugte sich vor und senkte die Stimme.
»Ich bin es, den sie liebt. Sie wäre niemals imstande, einem
Lumpen wie dir ihre Liebe zu schenken. Du magst sie ja vor mir beschützen wollen, aber in Wahrheit benötigt sie Schutz
vor dir. Ich werde mich scheiden lassen, Hart. Natürlich würde ich niemals von
Francesca verlangen, dass sie auf mich wartet. Aber sollte sie dann noch frei
sein, werde ich sie bitten, meine Frau zu werden, sobald es mir möglich ist!«
Hart starrte ihn an. Es kam ihm vor, als sei es im Saal mit einem
Schlag totenstill geworden. Sein Herz schien stillzustehen. Und war das etwa
eine eisige Furcht, die sich da gerade in seinem Inneren ausbreitete? »Nein«,
sagte er mit scharfer Stimme. »Das wirst du nicht.«
»Ich möchte bezweifeln, dass du imstande bist, die Zukunft
vorherzusagen«, spöttelte Bragg.
»O doch, in diesem Fall bin ich durchaus
imstande dazu«, versetzte Hart, stand auf und warf seine Leinenserviette auf den Tisch.
»Denn bis es dir endlich gelungen ist, die Scheidung durchzusetzen, wird
Francesca nicht mehr frei sein.«
Bragg erhob sich ebenfalls.
»Was soll das bedeuten?«
»Das bedeutet, dass sie dann
meine Frau sein wird.«
Kapitel 9
DONNERSTAG, 20. FEBRUAR
1902 – 15:00 UHR
Francesca
lächelte den Polizisten an, der draußen vor Melinda Nevilles Wohnung stand und
ihr und Joel den Weg versperrte. »Miss Neville?«, fragte er wie aus der Pistole
geschossen.
Francesca, noch immer lächelnd, reichte ihm
ihre Visitenkarte. »Nein, ich fürchte, ich bin nicht Miss Neville«, sagte sie
mit aufgesetzter Fröhlichkeit. Sie verspürte großes Mitleid mit Bertrand
Hoeltz, der Melinda seit Montagmorgen, als sie zusammen ein »petit déjeuner« zu
sich genommen hatten, nicht mehr gesehen hatte. Offenbar war er Melinda vor gut
einem Jahr in Paris begegnet, wo die Affäre ihren Anfang genommen hatte. Hoeltz
reiste häufig nach Europa. Er hatte sie gebeten, nach New York zurückzukehren,
und sie hatte schließlich, da eine Beziehung auf solche Entfernung mit der
Zeit eine zu große Belastung war, zugestimmt.
Melinda Neville unterhielt ihre eigene Wohnung in der 202 Tenth
Street, aber sie verbrachte viel Zeit mit Hoeltz, der selbst eine Wohnung
hinter seiner Kunstgalerie besaß. Sie hatten den Sonntag zusammen verbracht, am
nächsten Morgen gemeinsam ein leichtes Frühstück zu sich genommen, und dann
war Melinda in ihre Wohnung zurückgefahren, um im Atelier zu arbeiten. Seither
hatte er sie nicht mehr gesehen. Er war ganz offensichtlich außer sich vor
Sorge.
Die Rosen, die nicht weit von Miss Conways
Leiche im Zimmer verstreut gelegen hatten, waren Francesca seit ihrem ersten
Blick auf das Mordopfer am Dienstag nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Melinda
Neville hatte sie nicht von ihrem Liebhaber erhalten. »Ich bin mir sicher, sie
waren als Geschenk für Miss Conway gedacht«, sagte er mit tränenerstickter
Stimme. »Das sieht Melinda gar nicht ähnlich. Sie würde niemals für drei Tage
verschwinden, ohne mir zu sagen, wohin sie geht und warum. Ich fürchte, ihr
ist etwas Schreckliches zugestoßen«, hatte er zitternd herausgebracht.
Francesca hatte ihm tröstend die Hand auf die Schulter gelegt.
»Kennen Sie eine weitere Künstlerin, eine Sarah Channing?«, hatte sie ihn
gefragt.
Er hatte
den Kopf geschüttelt.
Und nun stand Francesca dem jungen Polizisten gegenüber, der die
Wohnung Nummer sieben bewachte. »Miss Cahill«, sagte er mit großen Augen und
errötenden Wangen, »Sie dürfen hineingehen, Ma'am.«
Francesca dankte ihm, ließ sich
von ihm die Tür öffnen und trat ein, gefolgt von Joel. Nachdem sie eine Lampe
eingeschaltet hatte, sagte Joel: »Glauben Sie, dass Hoeltz sie kaltgemacht
hat?«
Francesca schenkte ihm einen liebevollen Blick. »Wir haben keinen
Grund, so etwas zu denken, Joel.« Natürlich hatte sie sich bereits dieselbe Frage gestellt. Aber das lag
daran, dass sie bislang nur einen einzigen Verdächtigen hatten: Andrew LeFarge.
»Vielleicht waren die Rosen ja von 'nem anderen Kerl. Und der war
eifersüchtig und hat rotgesehen. Wie im Theater, wissen Sie.«
Francesca musterte ihn voller Respekt. »Das
ist eine beeindruckende Theorie. Wir werden der Sache auf den Grund gehen,
Joel. Hoffen wir nur, dass Miss Neville nichts zugestoßen ist.« Aber Francesca
glaubte nicht daran. Sie wurde das schreckliche Gefühl nicht los, dass die
vermisste Frau tot war.
Francesca
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