Brenda Joyce
vermutlich kannte. Doch Francesca konnte sich
beim besten Willen nicht vorstellen, dass Anthony und Bill Partner waren; es
erschien ihr einfach undenkbar.
Zudem musste ein Erpresser doch nicht notgedrungen auch ein
kaltblütiger Mörder sein.
Nein, irgendetwas stimmte bei der Sache nicht.
Ich bin eine unmoralische Frau – eine Hure! Wem werden sie wohl
die Schuld geben? Also ich glaube ja, dass es seine Frau war.
Francesca erstarrte. Warum hatte sie
Georgettes Worten nur nicht mehr Beachtung geschenkt, als diese Henrietta bezichtigte,
ihren Mann getötet zu haben? Es hatte kein Hass aus ihrer Stimme geklungen. Sie
hatte Angst gehabt, das wohl, aber sie hatte voller Überzeugung gesprochen. Was
hatte sie sonst noch gesagt?
Die beiden haben sich seit Jahren gehasst!
Plötzlich fiel Francesca ein, dass Henrietta
ihre Ohnmacht bei der Beerdigung nur vorgetäuscht hatte. Auch ihre Tränen waren
nicht echt gewesen, denn als Francesca Henriettas Taschentuch aufgehoben
hatte, war es knochentrocken gewesen. Francescas Puls raste vor Aufregung. Es
sah ganz so aus, als hätten sie den Falschen erwischt. Wer hatte ein besseres
Motiv als die betrogene Ehefrau? Außerdem wäre das auch eine Erklärung für
Bills Verhalten.
Francesca klopfte gegen die Trennscheibe, und als diese von dem
Kutscher geöffnet wurde, sagte sie: »Fahren Sie mich bitte zur East
Fifty-seventh Street. Die Nummer lautet neunundachtzig. Ich muss dort nur kurz
etwas erledigen.«
»Wie Sie wünschen, Miss«, erwiderte der
Kutscher.
Es war erst
halb neun, aber das Dienstmädchen teilte Francesca mit, dass die Randalls zu
dieser Stunde keine Besucher mehr empfingen. Mr Randall habe erst am nächsten
Mittag für sie Zeit. Francesca hörte kaum, was das Mädchen sagte, denn von der
Stelle in der Diele aus, wo sie stand, konnte sie die Tür zum Salon sehen, die
einen Spaltbreit offen stand. Im Salon war das Licht eingeschaltet, außerdem
hörte sie eine weibliche Stimme, die sie eindeutig als Marys erkannte.
Francesca lächelte das Dienstmädchen an und wandte sich zum Gehen.
»Dann werde ich morgen Mittag wiederkommen«, sagte sie. Als die Tür hinter ihr
zufiel, blieb Francesca auf dem Treppenabsatz stehen. Sie konnte genau hören,
dass kein Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde – aber es war ja auch noch
viel zu früh am Abend.
Francesca zählte langsam bis hundert. Dann schob sie ihre
aufkommenden Schuldgefühle beiseite, drehte den Türknauf herum und schlüpfte
leise zurück in die Diele.
Ich werde immer geübter im unbefugten Betreten von Häusern,
dachte sie. Erst eine gute Woche zuvor hatte sie das Haus der Burtons auf die
gleiche gesetzwidrige Weise betreten. Beim zweiten Mal fiel es ihr nun schon
viel leichter, obwohl sie natürlich eine gewisse Angst verspürte. Wenn
Henrietta wirklich eine Mörderin war, so konnte Francesca leicht in Gefahr
geraten, wenn man sie erwischte.
Die Tür zum Salon stand immer noch offen, und
jetzt erkannte Francesca auch Bills Stimme, konnte aber nicht verstehen, was er
sagte. Mit einem mulmigen Gefühl schlich sie auf Zehenspitzen den Flur entlang
und drückte sich neben der Salontür dicht an die Wand. Nun konnte sie sie klar
und deutlich verstehen, was in dem Raum gesprochen wurde.
»Findest du nicht, dass du schon ein Glas Sherry zu viel getrunken
hast?«, fragte Bill gerade.
»Nein, das finde ich ganz und gar nicht. Es ist ein furchtbarer
Tag gewesen«, gab Mary mit scharfer Stimme zurück. »Von jetzt an werden alle
Tage furchtbar sein.«
»Sie dürften für mich ein wenig schlimmer werden als für dich«,
sagte Bill finster. »Immerhin weiß ich nicht, ob ich mir die Studiengebühren
noch leisten kann.«
Eine bedrückte Stille folgte.
Francesca vernahm ihre eigenen Atemzüge, die angestrengt und
gequält klangen. Sie musste unbedingt versuchen, sich zu entspannen.
»Zumindest müssen wir jetzt nicht mehr länger mit dieser Heuchelei
leben«, hörte sie Mary voller Verbitterung sagen. »Aber die Frage ist, wovon
wir überhaupt leben sollen. Er hat uns nichts hinterlassen. Ich bin sein Erbe
und besitze nicht einen einzigen Penny.« Bill war offenbar wütend. »Du wirst
wenigstens irgendwann einmal heiraten – wenn du dich endlich dazu überwinden
kannst.«
»Ich werde niemals heiraten«, erwiderte Mary mit Nachdruck. »Du
weißt doch, wie ich darüber denke. Jetzt mehr als jemals zuvor. Wie konnte uns
Papa nur so etwas antun?«
»Ich verstehe nicht ganz, dass du all die Jahre die Augen vor
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