Brennende Fesseln
säuselnden Murmeln. Es wird plötzlich kühl im Zimmer, und ich ziehe mir die Decke über den Körper. M. schiebt eine Hand unter die Decke, um mich weiter zu streicheln.
»Wir reden hier nicht von einem Embryo«, sage ich. »Ich war bereits im vierten Monat. Der Fötus hatte etwa die Größe meiner Hand. Er war etwa fünfzehn Zentimeter lang und hatte bereits Arme, Beine und Fingernägel, Augen, Nase, Mund; Geschlechtsorgane; ein Gehirn, ein Herz, ein Nervensystem. Es war ein Mensch, ein lebendes Wesen, ein Baby. Und ich habe ihm das Leben genommen, ohne viel darüber nachzudenken.«
Langsam und nachdenklich schüttele ich den Kopf. »Ich bin dafür, daß die Entscheidung der Frau überlassen bleibt«, sage ich. »Ich glaube, jede Frau sollte das Recht haben, über ihren Körper zu bestimmen. Abtreibung sollte legal sein. Eine Frau sollte zumindest die Wahl haben. Trotzdem… am Tod eines Menschen schuld zu sein … das hat mich für immer verändert. Ich habe mir dadurch selbst etwas genommen. Nicht sofort, nein. Es dauerte Jahre, bis die Folgen sich abzeichneten, aber irgendwann hat mich die Sache eingeholt. Eines Tages wurde mir klar, daß meine Handlung unwiderruflich war. Das hat Spuren auf meiner Seele hinterlassen.«
Ich bringe ein kleines, nervöses Lachen zustande. »Ich bin kein religiöser Mensch. Wenn ich es wäre, würde ich sagen, die Sache hat mich meinen Platz im Himmel gekostet. Eine Tat, ein einziger unachtsamer Moment, und schon stehe ich auf Gottes schwarzer Liste.«
M. lacht nicht über meinen armseligen Versuch, leichthin zu klingen. Er rückt näher heran und drückt mich fester an sich. Ich möchte die Geschichte zu Ende erzählen – es fehlt nur noch ein Teil, möglicherweise der wichtigste –, aber ich kann nicht. Als spüre er meinen Widerwillen, sagt er: »Da fehlt noch was?«
»Ja.«
»Erzähl es mir.«
»Nein.« Er dringt nicht weiter in mich. Statt dessen küßt er mich leicht auf den Hals und legt seinen Kopf auf meine Brust.
Mit weicher Stimme sagt er: »Als wir uns kennenlernten, hast du mir gar nichts bedeutet, und dein felsenfester Glaube, ich hätte Franny umgebracht, amüsierte mich. Ich fand sogar Gefallen an der Rolle, die du mir zugedacht hattest – ist er nun der Mörder oder nicht? Für mich war das Ganze ein Spiel. Ich hatte Spaß daran, dich glauben zu machen, ich sei tatsächlich Frannys Mörder. Aber das hat sich geändert. Mittlerweile empfinde ich sehr viel für dich. Mir war anfangs nicht klar, daß ich mich in dich verlieben würde.«
Schweigend höre ich mir seine Liebeserklärung an. Seine Worte und der unmißverständliche zärtliche Ton in seiner Stimme überraschen mich. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meine eigenen Gefühle sind nicht so eindeutig. Schweigend liegen wir mit ineinander verschlungenen Armen und Beinen auf dem Bett und pressen uns aneinander, als wären wir eins.
Nach einer Weile sagt M.: »Ich muß dir etwas Wichtiges sagen.«
Sein Tonfall läßt mich aufhorchen. Es muß sich um etwas Ernstes handeln. »Betrifft es Franny?« frage ich.
»Ja.«
»Was?« Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt.
M. löst sich von mir. Auf einen Ellbogen gestützt, blickt er auf mich herunter. Seine andere Hand steckt immer noch unter der Decke und streicht sanft über meinen Bauch.
»Ian hat Franny gekannt. Er war mit ihr im Bett.«
»Was?« sage ich und setze mich auf.
Er schweigt. Er weiß, daß ich jedes Wort verstanden habe.
»Du lügst.«
»Seine Schuldgefühle haben ihm so zugesetzt, daß er es seinem neuen Busenfreund beichten mußte – ›Philip Ellis‹.«
»Ich glaube dir kein Wort.«
»Das mußt du auch nicht. Es steht in ihrem Tagebuch. Du hast es selbst gelesen. Sie hat ihn auf einer eurer Zeitungspartys kennengelernt. Sein Name taucht in ihren Aufzeichnungen nicht auf – nur, daß er als Reporter für den Bee arbeitet und daß sie gleich am ersten Abend mit ihm ins Bett ging. Am nächsten Morgen tat es ihm leid. Er hat sie zum Frühstück ins Food for Thought Café eingeladen und ihr erklärt, daß das Ganze ein Fehler gewesen sei.«
»Du lügst«, sage ich. »Warum soll ich dir das glauben? Du hast ihr Tagebuch gelesen, und du wußtest von dem Mann beim Bee . Es hätte jeder sein können – du versuchst bloß, Ian schlechtzumachen. Er war nicht derjenige, mit dem sie geschlafen hat.«
»Ich wäre selbst nicht darauf gekommen, wenn Ian mir nicht sein Herz ausgeschüttet hätte.«
»Ich glaube dir
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