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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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war.
    Spätestens mit dem zweiten Prozess scheint Chodorkowski sein negatives Oligarchen-Image weitgehend losgeworden zu sein. Zumindest auf den Straßen Moskaus und St. Petersburgs sprechen viele Menschen jetzt mit Hochachtung
von ihm – und manche setzen in ihn ihre Zukunftshoffnungen. Und noch eines hat sich verändert: »Gewöhnliche« Russen beginnen gegenüber der Obrigkeit mehr Mut zu zeigen. Es war schon sehr tapfer von einer Frau Simakowa aus Irkutsk, während einer Live-Fernsehsendung Wladimir Putin direkt anzugehen: »Halten Sie es für gerecht, dass Chodorkowski seit Jahren im Gefängnis sitzt?« Pause. »Ich rechne gar nicht mit einer Antwort. Fragen zu Ihrem Lieblingshund sind Ihnen doch allemal wichtiger.« Aber geradezu sensationell ist der neu erwachte Bürgersinn einer Natalja Wassiljewa, gefunden und der Öffentlichkeit vorgeführt durch ihre Beschäftigung mit MBC und dem Gerichtsfall.
    Natalja Wassiljewa, Ende 30, ehemals Köchin und dann auf dem zweiten Bildungsweg zur Juristin geworden, arbeitet seit zwei Jahren beim Bezirksgericht in dem Moskauer Stadtteil, das den Prozess ausgerichtet hat. Sie wirkt als Pressesekretärin und bekommt in dieser Funktion Entscheidendes mit, was sie auch bezeugen will: Richter Danilkin habe das Urteil nicht selbst formuliert, sondern Wort für Wort höheren Ortes vorformuliert bekommen. Sie achte ihren Chef hoch, der Gerichtsvorsitzende sei kompetent und anständig, sagt die Frau im Privatfernsehsender »Doshd«. Aber er habe unter so starkem politischem Druck gestanden, dass er sich nicht mehr habe wehren können und aufgrund der Belastung sogar herzkrank geworden sei. »Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das alles erzählen soll. Aber dann konnte ich es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinen zu schweigen. «
    Frau Wassiljewas Name ist von der Informationsseite des Gerichts inzwischen verschwunden. Im Internet sieht sie sich
einer offensichtlich gesteuerten Verleumdungskampagne ausgesetzt. Die Akte ihres Mannes, der lange bei der Miliz gearbeitet hat, ist vermutlich in FSB-Händen. Ende März reichte Natalja Wassiljewa ihre Kündigung ein – unter starkem Druck der Behörden, wie es heißt. Sie hat jetzt keinen Job. Aber aus der Ex-Köchin ist eine neue Heldin der Bürgerrechtsbewegung geworden.
    Chodorkowski hat sich zu dem Fall noch nicht geäußert. Er bleibt international im Gespräch. Gerade erst hat US-Vizepräsident Joe Biden bei seinem Moskau-Besuch im März 2011 den Prozess angesprochen, der Europäische Gerichtshof ermittelt weiter, Amnesty International mahnt eine Revision an. Es dürfte den prominenten Häftling dann doch besonders freuen, dass in Russland ein »ganz gewöhnlicher Mensch« einen anderen »ganz gewöhnlichen Menschen« dazu gebracht hat, Zivilcourage zu zeigen. Und wer weiß, vielleicht ist das Virus ja noch ansteckender, als manche denken.
     
    Hamburg/Moskau, Ende März 2011

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Der Briefwechsel Ljudmila Ulitzkaja und Michail Chodorkowski
    Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, eine der wichtigsten Gegenwartsautorinnen Russlands, wuchs in Moskau auf. Sie studierte Biologie und war zunächst als Genetikerin am Akademie-Institut in Moskau tätig, bis sie wegen verbotener Abschrift und Verbreitung von nicht systemkonformer Literatur entlassen wurde. 1983 wird ihr erster Erzählband im Staatlichen Kinderbuchverlag veröffentlicht. Ihre übrigen Werke wurden von den sowjetischen Literaturzeitschriften jedoch noch lange Zeit abgelehnt. Sie wählte den Umweg über Frankreich. 1992 wird Ljudmila Ulitzkaja mit »Sonetschka« als Prosaautorin entdeckt. Inzwischen sind ihre Bücher in 17 Sprachen übersetzt, die Autorin wurde mit vielen Preisen geehrt, u. a. Prix Medicis, Prix Simone de Beauvoir. Sie lebt und arbeitet in Moskau.
     
    Beim Wechsel im Präsidentenamt fragten westliche Journalisten statt der bisherigen Standardfrage »Mögen Sie Putin?« nun: »Wie ist Medwedew?« Ich antwortete ganz ehrlich: »Ich weiß es nicht.« Nebenbei bemerkt, wusste das eigentlich keiner. Er erschien aus dem Nichts. Man weiß, dass er Jurist ist.
    »Wir werden es bald herausfinden«, antwortete ich. »Wenn sie Chodorkowski freilassen, dann ist Medwedew ein unabhängiger Politiker. Falls nicht, ist er eine Marionette.

    Sie haben Chodorkowski nicht freigelassen. Außerdem haben sie einen weiteren Prozess angestrengt, diesmal völlig aus der Luft gegriffen. Doch Chodorkowski hält sich unter

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