Brixton Hill: Roman (German Edition)
sammelte die Fotos auf. »Ich bleibe mal Küchenpsychologe. Ich sehe deine kurzen Haare – vielleicht Angst, mit langen Haaren könntest du zu weiblich wirken, nicht tough genug. Als Frau willst du ja schon wirken, aber nicht das Weibchen geben. Du trägst immer Schwarz, so ein bisschen die Luxuspunkvariante. Chanel-Punk. Aus beiden Welten etwas. Kein echtes Bekenntnis.« Er sah von den Fotos auf. »Deshalb auch keine Beziehung, was?«
»Ich sagte, es geht dich nichts an. Ich frag dich auch nicht nach deinem Privatleben.«
»Ich würde dir aber antworten.«
»Es interessiert mich nicht.«
»Warum? Weil ich schwarz bin? Weil ich Unterschicht bin?«
»Du bist nicht …«
»Unterschicht? Aber ein Unterschichtenkind. Und schwarz.«
»Bisschen billig, mich so provozieren zu wollen, oder?«
Er stapelte die Bilder ordentlich und legte sie auf Alans Schreibtisch. »Ich schau mal, wo wir einen Arzttermin bekommen.«
Kapitel 27
D iese Aktion mit der Webseite heute Morgen«, sagte Em. »Was hat die eigentlich gebracht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass wahnsinnig viele Leute ständig auf der Homepage von Braidlux Constructions rumhängen oder denen auf Facebook folgen.«
Jay hob die Schultern. »Darum geht’s nicht. Bei Braidlux haben sie es gemerkt, und sie brauchen erstaunlich lange, um hinter mir aufzuräumen. Die Homepage ist immer noch offline. Und die Presse hat schon reagiert und darüber berichtet. Es macht auf Twitter die Runde, und ein paar Blogger haben sich draufgestürzt. Die Facebookseite wurde gelöscht, aber einige Leute schicken Screenshots herum. Mit jeder Erwähnung wird auch verbreitet, warum wir diese Aktion gemacht haben.«
»Und warum?«
Er sah sie an und grinste kurz. »Komisches Gefühl, wenn man offline ist und nicht alles nachschauen kann, was?«
»Sag einfach. Warum? Weil die Wohnungen zu teuer sind?«
»Ja. Klar. Auch. Aber der Auslöser war, dass Braidlux mir untersagen wollte, über Barney zu schreiben.«
»Aha. Und wer ist Barney?«
Sie waren auf dem Weg zur U-Bahn. Em trug eine bunte Mütze von Jay und eine Sonnenbrille. Ihre Wunde war genäht und versorgt worden. Die Ärztin hatte mehrfach nachgefragt, ob sie Em ein Antidepressivum verschreiben solle (»Die dämpfen auch diese Attacken«, erklärte sie), aber Em hatte abgelehnt.
»Das ist der Typ, von dem ich dir erzählt habe. Der nicht aus seinem Haus raus wollte und jetzt im Knast sitzt.«
»Was hast du über ihn geschrieben?«
»Seine Geschichte. Dass die Leute von Braidlux ihn aus dem Haus ekeln wollen. Dass die Stadt mitspielt und sogar schon eine Sozialwohnung in Croydon hat.«
»Das hört sich, ehrlich gesagt, immer noch nicht so richtig schlimm an. Ich meine, er wird nicht auf der Straße sitzen. Man sorgt für ihn. Und er kann sich das Haus sowieso nicht mehr leisten. Es gehört ihm doch auch gar nicht mehr, hast du gesagt.« Em schob die Brille auf die Stirn und rieb sich die Nasenwurzel.
»Auf welcher Seite stehst du eigentlich?« Jay war sauer.
Sie verdrehte die Augen und schüttelte nur den Kopf. Sie passierten die Sperre und gingen hinunter zum Bahnsteig. Em musste sich beeilen, um Jay nicht aus den Augen zu verlieren.
»Jedenfalls, ich habe Barneys Geschichte aufgeschrieben«, sagte Jay leise, als sie auf die Bahn warteten. »Und die Rolle, die Braidlux dabei spielt, natürlich auch. Der Guardian hat sie mir abgekauft. Sie ist am Montag erschienen und sogar nach Deutschland und in ein paar andere Länder verkauft worden. Es ist wirklich eine gute Geschichte. Ging natürlich ein bisschen unter, weil die alte Hexe an dem Tag sterben musste.« Er meinte Margaret Thatcher. »Ein paar Stunden nach Veröffentlichung rief mich die Redaktion an und sagte, die Anwälte von Braidlux hätten Theater gemacht, der Artikel solle offline genommen werden, außerdem solle eine Gegendarstellung geschaltet werden. Ich sagte: Es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen muss, und es gibt nichts, was man gegendarstellen muss, ich kann alles belegen. Es ging eine Weile hin und her, und dann kamen sie tatsächlich mit einer einstweiligen Verfügung. Der Artikel ging offline. Ich nenne das Zensur.«
»Er geht sicher wieder online.«
»Aber es ist Zensur. Sie wollen nicht, dass die Leute wissen, mit welchen Praktiken sie vorgehen.«
»Und Zensur lässt sich ein Anonymous nicht gefallen.«
»Auf gar keinen Fall.«
»Wusste nicht, dass man sich dort auch um so kleine Sachen kümmert. Ich dachte, Weltpolitik ist das
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