Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
Stepaschin, der Direktor des Auslandsgeheimdienstes. Er musterte die an dieser improvisierten Besprechung teilnehmenden Mitglieder von Senkows Kabinett: General der Raketentruppen a.D. Wiktor Alexandrowitsch Trubnikow, Verteidigungsminister; Iwan Iwanowitsch Filippow, Außenminister; Sergeij Pawlowitsch Jejsk, nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten und Sekretär des Sicherheitsrats; Generaloberst Walerij Tichonowitsch Schurbenko, erster stellvertretender Verteidigungsminister und Chef des Generalstabs. »Seit Jahren, seit all den außenpolitischen Debakeln, der inländischen Stagnation und den persönlichen Eskapaden ihres Präsidenten benehmen die Amerikaner sich wie ängstliche Kinder.«
»Arbeitet die Wanze im Büro des Bundeskanzlers zuverlässig?«, fragte Präsident Senkow.
»So gut wie jede vor über einer Woche installierte Wanze«, antwortete Stepaschin ausweichend. »Die Deutschen werden sie irgendwann aufspüren und stilllegen. Vielleicht haben sie die Wanze schon entdeckt und füttern uns mit fingiertem Material, damit sie zusehen können, wie wir in aller Frühe zu diesen Besprechungen zusammenkommen und uns für ein paar Tage im Kreis drehen. Vielleicht verbringen wir Wochen damit, Unmengen von Informationen und tausende von protokollierten Telefongesprächen auszuwerten, nur um zuletzt festzustellen, dass alles Bockmist ist.« Er überlegte kurz, dann fügte er hinzu: »Wird eine Wanze entdeckt, ziehen der Kanzler und die meisten Minister um oder reisen ins Ausland, damit ihre Büros abgesucht werden können. Diesmal hat außer dem Vizekanzler, dessen Brasilienreise seit Wochen bekannt war, niemand Berlin verlassen. Und das Kabinett ist seit Präsident Thorns gestrigem Anruf zweimal zu Sondersitzungen zusammengetreten. Deshalb halte ich die Informationen für zutreffend.«
»Das kann ich mir kaum vorstellen, General«, sagte Sicherheitsberater Jejsk. »Die Vereinigten Staaten sind die mächtigste Nation der Welt. Ihre Wirtschaft ist stark, das Volk ist glücklich, Amerika ist ein Land, in dem man gut leben und investieren kann, dem man nacheifern sollte. Wie Disneyland.« Er schmunzelte, dann fügte er hinzu: »Aber anscheinend nicht wie EuroDisney.«
»Nikolai Denissowitsch hat Recht«, sagte Außenminister Filippow. »Außerdem ist es eine soziologische und anthropologische Tatsache, dass Nationen umso mehr zur Abkapselung neigen, je reicher sie sind.«
»Die Vereinigten Staaten werden sich von nirgendwo zurückziehen«, behauptete Verteidigungsminister Trubnikow. »Dieser Rückzug von der Friedensmission in Bosnien und im Kosovo … hol’s der Teufel, darüber haben wir alle schon mal nachgedacht, schon vor dem Tod Gregor Kasakows. Großbritannien und Italien suchen einen eleganten Ausweg; die restlichen NATO-Staaten, die Franzosen und die Blockfreien bleiben nicht allein dort.«
»Damit wären Russland und Deutschland übrig«, sagte Präsident Senkow. »Die Frage ist nur: Wollen wir auf dem Balkan bleiben? Sergeij Pawlowitsch? Was denken Sie?«
»Darüber haben wir schon oft diskutiert, Gospodin Präsident«, antwortete Sicherheitsberater Jejsk. »Trotz des Geschwafels Ihres Vorgängers über die Einheit der slawischen Völker haben wir praktisch nichts mit den Serben gemeinsam und keinerlei Interesse an den Bürgerkriegen oder dem Zerfall Jugoslawiens. Die Jugoslawen sind blutrünstige Bestien – sie haben das Wort ›Blutrache‹ erfunden, nicht die Sizilianer. Jugoslawische Partisanen haben der Roten Armee proportional höhere Verluste beigebracht als die Nazis. Marschall Tito war nach diesem arroganten Schwein Churchill der zweitschlimmste Pfahl in Stalins Fleisch. Wir haben den Serben den Rücken gestärkt, weil dieser verbohrte Fanatiker Milosević sich gegen die Amerikaner und die NATO aufgelehnt hat.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Wir sollten uns ebenfalls vom Balkan zurückziehen, Gospodin Präsident.«
»Nein, wir sollten bleiben«, sagte Trubnikow sofort. »Die Amerikaner werden den Balkan nicht verlassen. Makedonien, Slowenien, Bulgarien – sie alle sollen NATO-Mitglieder werden. Räumen wir den Balkan, breitet die NATO sich nach Osteuropa aus. Und bevor wir’s uns versehen, klopft sie an die Kremltore.«
»Immer der Panikmacher, was, Wiktor Alexandrowitsch?«, fragte Außenminister Filippow lächelnd. »Wir sollten einfach deshalb auf dem Balkan bleiben, weil die Amerikaner abziehen. Wir schlachten unsere Entscheidung in einer PRKampagne aus und
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