Brown Sandra
einem Sessel. Neal sah erstaunlicherweise aus wie immer. Hutchs Sommersprossen hingegen schienen über Nacht dunkler geworden zu sein. Oder war die Haut darunter nur außergewöhnlich blaß? Der Kratzer auf seiner Wange stach besonders hervor.
»Hi«, sagte Neal. »Komm rein, Bierchen gefällig?«
»Nein, danke.«
Hutch sagte nichts. Sie tauschten kurze Blicke aus, doch Lamar fand es schwer, seinen Freunden in die Augen zu schauen, jetzt, da sie ein so schlimmes Geheimnis teilten. Offensichtlich ging es Hutch nicht anders.
Neal dagegen schien unverändert. »Wie war’s heute in der Schule, Lamar?«
»Schätze okay.«
»Irgendwas Besonderes gewesen?« Er nahm einen Schluck aus der Dose.
»Nein.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Mr. Patterson hat bekanntgegeben, daß Gary und … und Jade das Stipendium gekriegt haben.« Er warf Hutch einen flüchtigen Blick zu. Hutch war noch blasser als vorher.
»Was du nicht sagst …« frotzelte Neal. »Ist das nicht schön für die beiden?«
Hutch stand auf, ging zum Fenster hinüber und fluchte dabei vor sich hin. Neal nahm einen Schluck Bier und beobachtete Hutch. »Was steckt dir denn quer im Arsch? Freust du dich etwa nicht, daß sie die Stipendien gekriegt haben?«
Er grinste.
Wütend drehte Hutch sich um. »Wollen wir nicht wenigstens darüber reden? Willst du wirklich weitermachen, als sei nichts passiert?«
Lamar war froh, daß Hutch das Thema aufgebracht hatte und daß er endlich mit jemandem darüber reden konnte.
»Mann, eh. Ich hatte vielleicht ’ne Scheißangst den ganzen Tag.«
»Angst? Wovor denn?« fragte Neal verächtlich.
»Na ja, vor dem Ärger, was glaubst du denn?«
Neal setzte sich auf und schüttelte den Kopf, als würde er Lamars Bedenken überhaupt nicht verstehen. »Was hab’ ich euch gestern abend gesagt? Wir werden keinen Ärger kriegen. Hörst du mir etwa nicht zu, wenn ich dir was sage, Lamar? Wir haben nichts Schlimmes getan.«
Lamar sah Hutch an. Der war sich offensichtlich nicht ganz so sicher wie Neal, aber er würde nichts sagen, um nicht vor Neal als Feigling dazustehen. Lamar war auf sich allein gestellt.
Er nahm seinen ganzen verbliebenen Mut zusammen und sagte: »Manche Leute könnten das aber vielleicht ganz anders sehen, Neal.«
»Welche Leute?«
»Leute, die davon hören.«
»Und wer sollte es ihnen erzählen? Jade vielleicht?« Er schnaubte. »Wohl kaum.«
Hutch sagte: »Sie hat es aber meinem Daddy gesagt.«
»Sie hat’s deinem Daddy gesagt?« Lamars Stimme überschlug sich fast. Seine Knie gaben nach, und er sackte mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. »Und was hat er gemacht?«
»Einen Scheißdreck hat er gemacht!« Neal, offensichtlich wütend, stand auf und riß sich eine weitere Dose Bier aus dem Sechserpack. Als er sie öffnete, lief ihm der Schaum über die Finger. Er schüttelte die Hand und sagte: »Ihr beide geht mir ganz schön auf die Eier, wißt ihr das? Wenn ihr euch weiter benehmt, als würdet ihr Schuld haben, findet ihr bestimmt noch jemanden, der auch das glaubt.«
»Vielleicht sind wir ja schuldig.« Neals Blick schoß zu Lamar. Lamar fühlte sich wie ein Insekt, das aufgespießt wird, doch er mußte sich einfach Luft machen. »Egal, was du denkst, Neal, ich glaube nicht, daß Jade wollte … daß sie wollte, daß wir es tun.«
»Bist du bekloppt?« Die Worte schossen heraus, als hätte Hutch einen inneren Druck nicht mehr ertragen. »Natürlich wollte sie nicht, daß wir es tun, du Idiot. Sie hat sich wie der Teufel gewehrt. Wir haben sie vergewaltigt. So einfach ist das.«
»O Gott.« Lamar rollte zur Seite. Er hatte Bauchweh. Er hatte Angst, er könnte sich naßmachen. Er hatte Angst, er könnte sich übergeben. Aber was machte es schon aus, wenn er sich blamierte? Er würde sowieso in der Sekunde sterben, in der seine Mutter von der Sache Wind bekam.
»Haltet die Klappe!« zischte Neal. »Alle beide.« Er bleckte die Zähne. »Hört zu, ihr blöden Flachwichser, Mädchen ziehen doch immer die gleiche Show ab. Klar, sie hat getan, als würde sie’s nicht wollen. Glaubt ihr denn im Ernst, sie würde zugeben, daß sie sich freiwillig hat bumsen lassen? Sie hat sich doch nur so aufgeführt, damit wir den andern Jungs nicht erzählen, wie leicht sie die Beine breit macht. Kapiert ihr das nicht?«
Hutch wirkte verzweifelt genug, um sich an jeden Strohhalm zu klammern, der sich ihm bot. Auch Lamar wollte Neal nur allzu gerne glauben, doch jedesmal, wenn Neal ihn fast überzeugt hatte, erinnerte er sich,
Weitere Kostenlose Bücher