Bruder des Schwertes
Vielleicht, weil du ein Mensch der Erde bist und deshalb den Göttern der Venus nicht im selben Maße unterworfen. Je länger du lebst, desto mehr Menschen geraten in Versuchung, die Götter zu mißachten, desto geringer wird das Vertrauen in ihre Macht, die Sündigen zu strafen.« In seiner Stimme lag ein Unterton von beißendem Sarkasmus. »Deshalb«, so schloß er, »haben sich die Kinder des Mondes aufgemacht, selbst für dein Ableben zu sorgen.«
Heath lächelte. »Die Priester vertrauen dir wohl ihre Geheimnisse an?«
Der Mann wandte den Kopf und sagte: »Alor.«
Die Frau trat vor Heath und löste ihre Tunika an der Schulter. »Da!« stieß sie hervor. »Sieh selbst!«
Nicht Heath galt ihre Erbitterung. Sie galt dem, was er sah. Dem tätowierten Symbol zwischen ihren weißen Brüsten – dem kreisförmigen, von einem Strahlenkranz umgebenen Symbol des Mondes.
Heath hielt den Atem an und ließ ihn in einem langen Seufzer entweichen. »Eine Tempeldienerin«, sagte er und sah ihr ein zweites Mal in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick, kalt, gelassen, herausfordernd.
»Wir werden aus der Wiege verkauft«, erklärte sie. »Wir haben keine Wahl. Und unsere Familien sind stolz, wenn eine ihrer Töchter für den Tempeldienst auserwählt wird.«
Bitterkeit und Stolz und der schwelende Haß einer Sklavin.
»Broca spricht die Wahrheit«, sagte sie.
*
Heaths Körper schien sich ganz in sich zusammenzuziehen. Er blickte von einem zum anderen und wieder zurück und sprach kein Wort, doch sein Herz schlug schnell und hart und pochte gegen die Rippen.
»Sie werden dich töten«, sagte Alor, »und es wird kein leichter Tod sein. Ich weiß es. Ich habe Männer mitunter viele Nächte hindurch schreien gehört, und ihre Sünde war geringer als deine.«
Heath entgegnete mit trockenem Mund: »Ein entlaufenes Tempelmädchen und ein Hochlandbarbar. Auch ihre Sünde ist groß. Sie kamen nicht über die halbe Venus, nur um mich zu warnen. Ich glaube, daß sie lügen. Ich glaube, daß die Priester hinter ihnen her sind.«
»Wir sind alle drei für vogelfrei erklärt«, meinte Broca. »Aber für Alor und mich gibt es noch ein Entkommen. Dich werden sie auf jeden Fall zur Strecke bringen, ganz gleich, wohin du gehst, außer an einem Ort.«
»Und welcher Ort ist das?«
»Das Mondfeuer.«
Nach einer langen Pause stieß Heath einen rauhen, krächzenden Laut aus, der fast wie ein Lachen klang.
»Raus«, sagte er. »Macht, daß ihr fortkommt.«
Zitternd vor Wut und Erschöpfung kam er auf die Füße. »Ihr lügt, alle beide – weil ich der einzige bin, der das Mondfeuer gesehen hat und noch am Leben ist, und ihr wollt, daß ich euch dorthin führe. Ihr glaubt an die Legenden. Ihr meint, das Mondfeuer würde euch in Götter verwandeln. Ihr seid verrückt wie all die anderen Narren; die Gier nach der verheißenden Macht und Herrlichkeit hat euch den Verstand verwirrt. Eines kann ich euch jedenfalls sagen: das Mondfeuer wird euch nichts bringen außer Qualen und Tod.«
Seine Stimme überschlug sich. »Erzählt eure Lügen einem anderen! Erschreckt die Wächter der Oberen Seen. Bestecht die Götter selbst, damit sie euch dorthin bringen. Aber geht mir aus den Augen!«
Der Venusier erhob sich langsam. Die Kabine war zu klein für ihn; seine Schultern streiften das Deck. Er fegte den kleinen Drachen beiseite. Er nahm Heath in seine beiden Hände und sagte: »Ich werde das Mondfeuer erreichen, und du wirst mir dabei helfen.«
Heath schlug ihm voll ins Gesicht.
Broca war einen Moment lang starr vor Verblüffung, und Heath sagte: »Du bist noch kein Gott.«
Der Venusier entblößte die Zähne zu einem Grinsen. Er packte ein zweitesmal zu, diesmal fester …
»Broca!« zischte die Frau. Sie sprang dazwischen und faßte ihn bei den Armen. »Laß ihn am Leben, du Narr!«
Brocas Atem entwich pfeifend zwischen den zusammengepreßten Zähnen. Langsam lockerte sich sein Griff. Heaths Gesicht war dunkel angelaufen. Er wäre gefallen, wenn ihn die Frau nicht gestützt hätte.
Sie sagte zu Broca: »Schlag zu, aber nicht zu hart.«
Broca holte aus. Seine Faust traf Heath genau auf die Kinnspitze.
Es konnten nicht mehr als zwei der langen venusischen Stunden vergangen sein, als Heath zu sich kam. Dies war ein langwieriger Prozeß, wie immer – von einem vagen Gefühl allumfassenden Elends angefangen bis zum völligen Erkennen seiner augenblicklichen Lage. Sein Kopf fühlte sich an, als sei er vom Kinn aufwärts mit einer Axt
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