Brunetti 14 - Blutige Steine
Cuzzoni womöglich auch?«
»Ich dachte, Sie vertrauen ihm.«
Brunetti deutete auf das Häuflein auf dem Bett. »Bevor ich nicht weiß, ob die Dinger echt sind, traue ich niemandem.«
»Und wenn Sie's wissen? Wem werden Sie dann noch trauen?« fragte Vianello, während er seine Fäustlinge aus der Jackentasche zog.
Ohne auf die Frage einzugehen, raffte Brunetti das Taschentuch an den vier Enden zu einer Art Beutel zusammen, den er so lange hin und her schwenkte, bis eine handliche Schütte entstand, durch die sich der Inhalt leicht würde abfüllen lassen. Noch aber lasteten Salz und Steine als dicker, schwerer Klumpen am Boden seines nicht mehr ganz frischen weißen Taschentuchs. Vianello hielt den ersten Fäustling unter die Schütte, und nachdem Brunetti ihn fast randvoll gemacht hatte, schüttelte und verteilte Vianello die Steine, bis der Daumen des Fäustlings steif abstand. Vorsichtig setzte er den prall gefüllten Handschuh aufs Bett, streifte seine Uhr ab und versuchte den Strickbund mit dem elastischen Uhrarmband zu verschließen. Als ihm das nicht gelang, legte er die Uhr wieder an und begnügte sich damit, den Fäustling noch ein wenig auszutarieren, bevor er ihn in der rechten Tasche seines Parkas versenkte und den Reißverschluß der Tasche zuzog.
Nachdem sie mit dem zweiten Fäustling ebenso verfahren waren, wanderte er in Vianellos linke Parkatasche. Danach hatte Brunetti noch einen apfelsinengroßen Brocken am Boden seines Taschentuchs übrig. Er verknotete die Zipfel und schob das kleine Bündel in die Innentasche seines Mantels, die sich mit einer Lasche zuknöpfen ließ.
Als nächstes kam die leere Salzschachtel an die Reihe. Um eventuelle Fingerabdrücke nicht zu verwischen, schlitzte Brunetti die Bodenlasche mit einem Schlüssel auf und ließ die flach gedrückte Packung vorsichtig in die Außentasche seines Mantels gleiten. Anschließend rief er in der Questura an und beorderte einen Kollegen von der Spurensicherung in die Wohnung. Der Mann solle in Zivil kommen und die oberste Klingel drücken. Ja, er und Vianello würden ihn erwarten.
Als Brunetti sein telefonino wieder einsteckte, sagte Vianello: »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet, Commissario.«
»So? Welche denn?« murmelte Brunetti zerstreut.
»Wem Sie noch trauen würden, falls sich herausstellt, daß die Steine wirklich echt sind.«
Zum erstenmal, seit sie das Haus betreten hatten, lachte der Commissario frei heraus. »Niemandem.«
Der Kriminaltechniker ließ fast eine Stunde auf sich warten. Währenddessen saßen Brunetti und Vianello fröstelnd nebeneinander auf dem Bett und spekulierten. Als die Kälte unerträglich wurde, wechselten sie in die Wohnung einen Stock tiefer. Der Aufenthaltsraum dort war zumindest überschlagen, und es reichte, wenn einer von ihnen an der halboffenen Flurtür Wache stand, um den Mann von der Spurensicherung abzupassen.
Brunetti ging in die Küche und kam mit zwei Plastiktüten zurück. Nachdem Vianello in einer davon die prall gefüllten Handschuhe deponiert hatte, knotete Brunetti sie oben zu und stopfte sie in die zweite Tüte. Dabei diskutierten sie weiter über ihre Entdeckung, fanden aber nach wie vor keine einleuchtende Erklärung. Immerhin fiel Brunetti jemand ein, der ihm über die Steine Auskunft geben konnte. Er rief, während Vianello an der Tür Wache hielt, Claudio Stein an und bat ihn um eine Unterredung am nächsten Morgen.
Wie die meisten Menschen in Brunettis Umfeld hing auch Claudio der Vorstellung an, daß sämtliche Telefonleitungen notorisch von gewissen Regierungsstellen abgehört würden. Folglich stellte er keine Fragen, sondern sagte nur, er sei jeden Morgen ab neun in seinem Büro und wäre natürlich entzückt über Guidos Besuch. Als Brunetti sein telefonino wieder eingesteckt hatte, erkundigte sich Vianello: »Wer war das?«
»Ein Freund meines Vaters. Ein Kriegskamerad.«
»Oh - wie alt ist er denn inzwischen?«
»Über achtzig, schätze ich. Aber genau weiß ich es nicht«, sagte Brunetti. Er hatte nie erfahren, ob Claudio älter oder jünger war als sein Vater. Jedenfalls gehörte er zu den wenigen, denen der alte Brunetti vertraute, und zum noch kleineren Kreis derer, die dem Vater auch während des langsamen Dahindämmerns seiner letzten Jahre die Treue gehalten hatten.
Endlich ertönte über ihnen das erwartete Klingelzeichen: Der Mann von der Spurensicherung war eingetroffen. Als er oben anlangte, wies Brunetti ihn an, sich die Dachkammer
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