Brunetti 14 - Blutige Steine
rascher Blick aus dem Fenster bestätigte, was das satte Dröhnen des Motors schon angekündigt hatte: Sie hatten den Pier hinter sich gelassen und nahmen Kurs aufs Bacino di San Marco. »Ich bin sehr froh, daß du's einrichten konntest«, sagte Brunetti. »Wohin fliegst du übrigens?«
»Nach London«, antwortete der Conte zurückhaltend.
»Bist du Weihnachten wieder da?« Brunetti erschrak bei dem Gedanken, seine Kinder, denen die Bescherung bei den Großeltern immer noch als ein Höhepunkt im Jahreslauf galt, könnten um dieses Vergnügen betrogen werden.
»Ich komme noch heute abend zurück«, antwortete der Conte obenhin.
Ein jüngerer, nicht so weltläufiger Brunetti hätte jetzt gefragt, ob der Flugplan es tatsächlich gestatte, die Strecke London und retour binnen eines halben Tages zu bewältigen. Doch der Brunetti, der seit über zwanzig Jahren mit einer Falier verheiratet war, versagte sich solche Fragen.
»Wenn du erlaubst«, begann Brunetti ohne Umschweife, »dann möchte ich mit Rücksicht auf die knappe Zeit gleich zur Sache kommen.«
»Nur zu«, ermunterte ihn der Conte. »Eine erfreuliche Abwechslung zu den Gepflogenheiten meiner sonstigen Gesprächspartner.«
»Letzten Sonntag«, begann Brunetti, »wurde auf dem Campo Santo Stefano ein Afrikaner erschossen.« Der Conte nickte schweigend. »Als wir seine Unterkunft durchsuchten, stieß ich auf ein Versteck mit Rohdiamanten im Wert von rund sechs Millionen Euro - Diamanten, die einem Gutachter zufolge aus dem Grenzgebiet zwischen dem Kongo und Angola stammen. Kurz darauf wurde das Zimmer noch einmal durchsucht, vermutlich entweder von den Mördern oder von jemandem, der von den Diamanten wußte und sie an sich bringen wollte. Und zwei Tage vor dem Mord hat ein Afrikaner einem Händler hier in der Stadt Diamanten in großer Stückzahl angeboten, wurde jedoch abgewiesen.«
Hier hielt Brunetti inne, gespannt darauf, wie der Conte reagieren würde. Dessen Miene blieb undurchdringlich. Erst als das Schweigen gar zu lange währte, sagte er: »Du mußt schon etwas deutlicher werden, Guido. Mit so ein paar dürren Informationen kann ich nichts anfangen. Ich warte darauf, daß deine Geschichte komplizierter wird.«
»Damit kann ich dienen«, versetzte Brunetti. »Kaum daß wir die Ermittlungen aufgenommen hatten, interessierten sich plötzlich sowohl Innen- wie Außenministerium für den Fall.«
»Gemeinsam?« fragte der Conte hörbar erstaunt.
»Das glaube ich nicht. Sie operieren anscheinend getrennt. Das Innenministerium hat den Fall übernommen: ganz offiziell, per Gesuch an Patta. Das Außenministerium ist in unser Computersystem eingebrochen und hat alle einschlägigen Dateien gelöscht.«
»Ich frage lieber nicht, wie du das herausgefunden hast«, bemerkte der Conte trocken.
»Nein, lieber nicht.«
Der Conte schlug die Beine übereinander und reckte sich, beide Handflächen auf den Sitz gestemmt, zum Fenster hoch. Brunetti folgte seinem Blick und spähte durch die regennassen Scheiben auf die metallenen Lichtpfosten des Stadions und das Sammelsurium ausgemusterter Vaporetti-Unterstände, welche die ACTV hier an den Ausläufern der Insel Sant' Elena lagerte.
Der Conte schwieg noch immer. Und Brunetti hätte sich fast schon einlullen lassen von der wohligen Wärme, dem feuchten Dampf, der aus seinen Kleidern stieg, und dem monotonen Stampfen der Maschinen, als das Boot jäh seitwärts schlingernd ins offene Wasser der Lagune hinaussteuerte.
»Sechs Millionen Euro sind ein relativer Wert«, sagte der Conte endlich. Brunetti horchte auf. »Ich meine, für die meisten Menschen wäre es ein Vermögen, ein unerhörtes Kapital; für viele andere dagegen nur eine vergleichsweise unbedeutende Summe.« Brunetti hätte gern gewußt, wo der Conte auf dieser Skala einzuordnen war.
»Für einen Afrikaner ist so ein Betrag höchstwahrscheinlich noch gigantischer, ja vielleicht so astronomisch, daß er jede konkrete Bedeutung verliert und zur abstrakten Ziffer wird.« Wieder verstummte der Conte, und Brunetti hörte das Räderwerk in seinem Kopf förmlich schnurren.
»Stellt sich die Frage, was ein Afrikaner mit dem Erlös aus so einem Diamantengeschäft anfangen würde. Ginge es um seinen eigenen Bedarf, würde er sie vermutlich einzeln losschlagen, würde Privathändler oder auch Juwelierläden abklappern, um jeweils ein, zwei Steine zu verkaufen. Wobei ich mir kaum einen Juwelier vorstellen kann, der an ungeschliffenen Diamanten interessiert wäre.
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