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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Varujan Vosganian
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Händen, und nun versuchte Sahag, ihrem Griff entkommen, davonzurennen. Aber der Araber packte ihn um die Hüfte und am Nacken und warf ihn wie einen Quersack aufs Pferd. Er saß hinter ihm auf, stieß einen Schrei aus und entfernte sich im Galopp. Hermine blieb lange wie angewurzelt stehen. Sie fuhr mit einer Hand in das Säckchen, holte eine Handvoll Mehl heraus und erstickte den Schrei, indem sie es sich in den Mund steckte.
    Eine Weile lag der Junge in einem anderen Zelt, es war viel größer, an den Wänden mit Teppichen und unverständlichen Inschriften geschmückt, auch lebten Leute darin, die eine heisere und abgehackte Sprache sprachen und ihn gleichgültig ansahen, ihm aber der Reihe nach zu essen brachten, den Schweiß von der Stirne wischten und seine Leintücher wechselten. Als er so weit aufgepäppelt war, dass er reiten konnte, setzten sie ihn auf ein Pferd und zogen mit ihm in die wüsteren Regionen, und wenn sie nicht Karawanen auflauerten, bestand ihre Beschäftigung dort lediglich darin, nachts die Feuer zu hüten, in denen Kameltalg zischte, und tagsüber Wasser aufzuspüren. Sahag hatte keine genaue Erinnerung an jene Tage, er hatte nur die eintönigen Gebete der Männer und das weiße Gewand, das er bekommen hatte, im Gedächtnis behalten. Ein Gewand, auf das der stechende Schmerz seines beschnittenen Gliedes feine Blutfäden verspritzte, wobei er nicht verstand, weshalb dieser neue und männliche Schmerz Lächeln und Befriedigung in den Gesichtern der anderen hervorrief. Mit dem weißen blutbespritzten Gewand erhielt er auch einen neuen Namen, Yusuf, dabei hatte ihn niemand nach seinem alten Namen gefragt. Dies aber sollte einmal zu seinen Gunsten ausschlagen, denn später, als sie ihn suchten, bis nach Urfa und Diarbekir hinaufzogen, fanden sie ihn nicht, weil sie nicht wussten, nach wem sie fragen sollten.
    Yusuf wurde ein tüchtiger Bursche. Er lernte, die Kamele am Halfter zu halten und sie beim Grasen zu hüten. Lernte reiten, gewöhnte sich an getrocknete Speisen und lernte angesichts der sandigen Weiten, sich in Geduld zu üben. Er bekam Männerkleider, hatte sein eigenes Pferd, das einzige Wesen, mit dem er Armenisch sprechen konnte, und er kniete zusammen mit den anderen bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang gen Osten nieder und stammelte etwas, was wie ein Gebet klang. Mit seinem in den Todeskreisen gestählten Körper, den langen Wimpern, die seine Augen vor dem Sand schützten, dem bräunlichen Gesicht, das dem zehrenden Wind widerstand, und den gekräuselten schwarzen Haaren, die ihn gut vor der heißen Sonne bewahrten, hätte er ein guter Wüstenreiter bleiben können. Dass er kein Arabisch konnte, war nur zu seinem Vorteil. So konnte ihm niemand mit Fragen auf den Leib rücken, und er musste nichts über sich erzählen. Er musste nicht zu einem Propheten beten, der ihn hatte bluten lassen, als er sich ihm zeigte, und konnte sich den anderen bewahren, der sich ihm blutend gezeigt hatte.
    Er hätte in jenen Gegenden ein guter Reiter und eines schönen Tages sogar der Anführer seines Stammes werden können. Im Winter wäre er hinabgeritten zu den Ufern des Roten Meeres, bis in die Nähe von Medina, und wenigstens einmal im Leben auch nach Mekka, dann wäre er durch Jerusalem und Damaskus hinaufgezogen bis an die Orte, die er recht gut kannte, und noch weiter, in die Berge, nach Ras-ul-Ain und Mossul. Yusuf aber blieb fremd, und den anderen genügte seine Tüchtigkeit, also ließen sie ihn in Frieden und störten seine unverständlichen Gespräche mit dem Pferd nicht.
    Yusuf lebte jenes Leben mit einer gewissen Verwunderung. Mit einem Mal aber, wie das häufig geschieht, wenn man nicht genau genug fragt, hatte er begriffen. Sie waren bis nach Mossul gelangt. Es war ein guter Tag gewesen. Sie hatten Ziegenkäse und Kamelhäute verkauft. Im Zelt war es warm und ruhig, es roch nach Gebratenem, aber bevor sie sich auf die Kissen um das Feuer herum setzten, zählten sie die Goldmünzen, die sie in Säckchen verschnürten. Dann bestaunten die Frauen die Geschenke – Bernstein, Tücher und Schmuck. Aber das schönste Schmuckstück hatte der Herr des Zeltes in der Faust und schenkte es, wie ein Zauberer die Finger öffnend, der jüngsten unter seinen Frauen. Sie legte es sich um den Hals und drehte sich erfreut im Kreis herum, tanzte zu den schrillen Tönen der Zummara im Rhythmus der glöckchenbesetzten Trommeln um das Feuer. Funken stoben aus dem Feuer, in dem das tropfende Fett zischte,

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