Bullet Catcher - St. Claire, R: Bullet Catcher
über den rückwärtigen Parkplatz rannte.
Auch mit Handy am Ohr und verzerrtem Gesicht war die junge Verkäuferin aus dem Buchladen leicht wiederzuerkennen. Ophelia. Fletch drückte sich flach gegen die Wand und verbarg sich im Schatten, als sie vorbeieilte, und ihre Stimme hallte in der engen Gasse wider.
»Der spinnt doch komplett. Diesmal bringt er sich selber um, und mir ist es egal. Echt. Ich will nur einfach da raus.«
Raus … aus einer verkorksten Beziehung oder aus diesem Gebäude?
Sich umbringen?
Das Blut drohte ihm in den Adern zu erstarren, als sich die entsetzliche Erkenntnis in seinem Kopf bildete.
Der Rucksack. Die Kartons ohne Aufschrift. Die Überzeugung in der Stimme des jungen Mannes, als er auf seinen Stuhl geklettert war und ausgerufen hatte: Das ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit!
Miranda hatte recht. Glaube war auch eine Triebfeder für Mord. Jedenfalls für Fanatiker.
Fletch rannte durch die Seitengasse zurück zu Miranda. Er wich einem entgegenkommenden Wagen aus und warf sich förmlich vor den SUV , um die Beifahrertür aufzureißen, die Miranda schon entriegelt hatte.
»Fahr los!«, befahl er. »Schnell! Fahr!«
Erschrocken, aber ohne Fragen zu stellen, zündete sie den Motor.
»Mach schnell!« Er griff ins Steuer, um es herumzureißen, und trat das Gaspedal mitsamt ihrem Fuß darauf durch, sodass sie wild schleudernd aus der Lücke stachen.
»Was ist denn los?«
Mit quietschenden Reifen rasten sie die Straße entlang und bogen genau in dem Moment um die Ecke, als der Buchladen hinter ihnen mit einer heftigen, ohrenbetäubenden Explosion in Flammen aufging, und Backsteine und Bücher auf Westwood Village herabregneten.
11
Völlig von ihrem eigenen Werk in den Bann geschlagen, starrte Taliña in die tanzenden, hypnotisierenden Flammen.
Siebenundzwanzig Talgkerzen standen um sie herum. Ihr Licht wurde von fünf Quarzkristallen gebrochen, die auf dem steinernen Altar zu einem Kreuz angeordnet waren.
Zement und scharfe Kieselsteine bohrten sich in Taliñas Knie. Die nächtliche Luft strich kalt über ihre Haut. In ihrem Haar knisterte es statisch, und hin und wieder zuckten Blitze gegen ihr nacktes Fleisch.
Es war Zeit.
Bitterer Rauch brannte in ihrer Nase und vermischte sich mit dem süßlichen Aroma der Gardenienblüten, die sie abgezupft und ausgestreut hatte. Bald jedoch würde dieses Gemisch von etwas anderem überlagert werden – vom scharfen Geruch sexueller Begierde, der ihre Séancen stets begleitete, denn das Anrufen des Ajnawal mesa und vielleicht auch die köstliche, aromengetränkte Regenluft des Dschungels wirkten immer sehr erregend auf sie.
Sie musste Antworten auf ihre Fragen zu Miranda finden, und es gab nur einen Weg: die machtvolle Kunst der Schamanen, die sie als Kind erlernt hatte. Eine Kunst, die heilen, retten und anregen konnte.
Und töten.
Doch um Mirandas willen würde sie dieses Risiko eingehen.
Sie legte sich auf den Rücken, spreizte die Beine etwas weiter als hüftbreit und platzierte die Hände flach neben den Ohren auf den Boden, sodass ihre Ellbogen in die Luft ragten. Dann begann sie mit dem uralten Gesang, der so besänftigend wirkte und doch weit über diese Welt hinausreichte. Mit tiefer, monotoner Stimme summte sie die wehmutsvolle Melodie und sang leise die Worte, so alt, dass sie längst ihre Bedeutung verloren hatten, und doch so vertraut, dass sie noch immer Trost spendeten.
Taliña rief sich die Stimmen ihrer Mutter und deren Mutter ins Gedächtnis. Sie dachte an die Stimmen der Hebammen, der Kriegerinnen und Prophetinnen, der Wahrsagerinnen, der dukuns , der Geister und Schamaninnen. Seit jeher hatten sich Frauen zusammengetan, um zu retten, zu heilen und zu gebären. Sie riefen, malten, sangen, vollzogen Rituale und beschützten damit die Seelen, warnten Kinder vor Gefahren, gewannen Kriege und zerstörten Menschen.
Es waren die Frauen, die die Macht hatten. Die Frauen .
Ihre Liebe zu ihrem eigenen Geschlecht, dem Geschlecht ihrer Seele, war so tief, dass sie sich ganz und gar in andere Frauen hineinversetzen konnte. Auch in diese ganz besondere Frau.
Sie verstand durchaus, dass manche Miranda als Bedrohung empfanden. Ihr ging es nicht so. Und doch wollte sie wissen, warum Miranda hohle Räume in ihrem Herzen hatte, von denen sie geschwächt wurde.
Die Talgkerzen brannten herunter und die Kühle der Nacht nahm zu, als ihr nackter Körper sich langsam hob, zuerst das Gesäß, dann der Rücken, bis sie sich, nur
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