Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
Vom Netzwerk:
weiblichen Gewalt nach außen? Diese Tendenzen sind doch in der Gesellschaft sichtbar.«
    »Und dann frage ich mich«, sagte Jorge Chavez, »ob Johannes Åkerblom wirklich einem Mann geholfen hätte. Hat er nicht diese Pornofilme ausgeliehen, um sie zusammen mit einer Frau anzusehen? Zusammen mit Tiina Spinroth? Das war seine Belohnung …«
    »Ihr seid euch ja mal richtig einig in der Familie«, stellte Kerstin Holm fest. »Ziemlich ungewöhnlich.«
    Sara und Jorge sahen einander skeptisch an.
    »Also dann an die Arbeit.« Kerstin Holm stand auf. »Tiina Spinroth, wer sie auch immer sein mag, hat ihre Folterkammer verloren. Unser Ziel ist das einzig denkbare: keine weiteren Opfer.«

12
    Die Frau betrachtete ihn mit sehr klarem dunkelbraunem Blick, und er dachte darüber nach, was es eigentlich ist, das Vertrauen schafft. Er fragte sich, ob man so etwas wirklich vortäuschen kann.
    Er dachte an seine Arbeit, daran, wie fein justiert seine Menschenkenntnis inzwischen war. Man sollte ihm nichts mehr vormachen können, wirklich nicht. Dennoch konnte er nicht leugnen, dass ihm gerade das in der letzten Zeit ein bisschen zu oft passiert war. Vor ein paar Jahren hatte er sich von einer Frau namens Christine Clöfwenhielm, die dann untergetaucht war, aufs Übelste täuschen lassen. Und jetzt, ja, jetzt war es seine Tochter, die ihn getäuscht hatte.
    Er war der Meinung, dass die Frau ihm inzwischen ein bisschen lange in die Augen schaute. War das anfängliche unwillkürliche Vertrauen vielleicht schon am Bröckeln?
    »Wir haben viel Routine in diesen Dingen«, sagte die Frau schließlich.
    »Das bezweifle ich nicht im Geringsten«, sagte er.
    »Sie sind Polizist, nicht wahr?«, fragte die Frau.
    »Das lässt sich nicht abstreiten«, erwiderte er.
    »Das bedeutet, dass Sie auf Grundlage einer ganzen Reihe rationaler Kriterien gesucht und verworfen haben, bevor Sie hier gelandet sind. Irre ich mich?«
    »Ich habe ein paar Telefonnummern bekommen und die genommen, die ich am einladendsten fand.«
    »Jaja«, sagte die Frau und streckte ihm und dann Tova die Hand hin. »Ich heiße jedenfalls Anita Kochs und bin die Leiterin hier in Äppelviken.«
    »Paul Hjelm«, sagte Paul Hjelm.
    »Tova Hjelm«, sagte Tova Hjelm.
    »Die Privatklinik Äppelviken ist, wie Sie wissen, auf Frauen mit Anorexia nervosa und Bulimia nervosa spezialisiert. Wir wissen sehr genau, woran Sie leiden, Tova, und neunzig Prozent der anderen, die Sie hier auf den Fluren sehen, leiden an genau der gleichen Krankheit. Anorexia nervosa ist eine ziemlich schlechte Bezeichnung. Es bedeutet ›nervöse Appetitlosigkeit‹, was völlig irreführend ist. Bezeichnend für die Krankheit sind ein sehr geringes Gewicht, eine deutliche und heftige Abneigung gegen Gewichtszunahme, Ausbleiben der Menstruation und gestörtes Körpergefühl. Essen hat Angst zur Folge, was eine natürliche psychische Konsequenz ist, wenn man sich zu dick fühlt und das Bedürfnis hat, dünner zu werden. Der Wunsch, Gewicht zu verlieren, hängt fast immer mit einer Reihe anderer psychischer Faktoren zusammen wie Kontrollbedürfnis und Perfektionismus, die wiederum mit physiologischen Reaktionen die spontane Genesung erschweren. Essen und Zunehmen wird als Kontrollverlust erlebt, und das wird als bedrohlich empfunden. Deshalb sind fast immer kluge, gut organisierte Frauen betroffen. Intelligente Frauen mit starkem Kontrollbedürfnis. Oft, um es geradeheraus zu sagen, aus der Oberklasse. Es ist kein Zufall, dass wir hier in Äppelviken sind.«
    Paul Hjelm sah seine Tochter an. Sie stierte auf ihren Schoß, wo die schmalen kleinen Hände mit der Handfläche nach oben lagen. Er erkannte es wieder. Genauso hatte sie dagesessen, als sie klein gewesen und dabei ertappt worden war, dass sie die Süßigkeiten ihres Bruders Danne aufgegessen hatte. Paul Hjelm lächelte und spürte einen Kloß im Hals.
    »Unsere Methode läuft darauf hinaus, dass Sie hierbleiben, bis Sie gesund sind, Tova«, fuhr Anita Kochs fort. »Wir sind der Meinung, dass sich AN nicht ohne ständige Kontrolle behandeln lässt. Sie werden also stationär aufgenommen und dürfen das Gelände nicht verlassen. Es handelt sich hier um eine Krankheit, die stärker ist als jede Droge.«
    In diesem Moment geschah das Seltsame, dass die Tür zu dem eleganten, sparsam möblierten Büro weit aufgerissen wurde und eine Frau hereingestürzt kam. Ja, sie kam buchstäblich hereingestürzt, und dieser übertriebene Auftritt hatte zur Folge, dass

Weitere Kostenlose Bücher