Cafe con Leche
brechen wir auf. Die Hälfte des Weges ist zwar schon
geschafft, aber wir wollen auch nicht so spät in Arzúa ankommen.
Hinter
Melide säumen Eukalyptusbäume den Weg. Immer wieder zerreiben wir die Blätter
zwischen unseren Fingern, weil das dann so lecker nach Hustenbonbons riecht.
Und dann begegnen wir noch einmal dem Pilger, der für mich wie Rex Gildo
aussieht. Er sitzt auf einem Baumstumpf und lässt sich sein Vesperbrot
schmecken.
„Buen
provecho”, rufe ich ihm zu.
Lachend
sagt er: „Gracias.”
Fast
gleichzeitig wünschen wir uns einen buen camino und lachen. Dann ziehen wir des
Weges weiter. Gegen sechzehn Uhr erreichen wir endlich Arzúa. Obwohl der Weg
gut zu laufen war, fühle ich mich durch die Hitze doch ziemlich kaputt. Die
Herberge liegt im Stadtzentrum und ist gut zu finden. Dort angekommen, steuere
ich, nachdem wir ein Bett und unsere Stempel haben, die Dusche an. Was genieße
ich das Wasser. Fünf Minuten vergehen, vielleicht auch zehn oder mehr, da stehe
ich immer noch unter der Brause. Chris ist schon längst mit dem Duschen fertig.
Und als ich aus der Dusche komme, ist sie schon dabei, unsere Wäsche zu
waschen.
„Du
kannst heiraten”, sage ich scherzhaft zu ihr.
„Was
soll das denn, Mama?!”
„Ach,
Chris. Das sagt man so im Scherz zu einem Mädchen, das Kochen und Waschen
kann.”
„Das
habe ich ja noch nie gehört”, ist ihre trockene Antwort.
„Belass
es dabei! Es war nur ein Scherz”, sage ich zu ihr. „Ich will mich gleich auf
dem großen Marktplatz neben der Herberge setzen. Da gibt es viele Bänke und ich
kann im Tagebuch weiterschreiben. Kommst du mit?”
„Klar,
ich fülle nur noch schnell frisches Wasser in unsere Flaschen und nehme den
Gaskocher mit. Dann können wir dort einen Kaffee kochen.”
„Gute
Idee”, sage ich und schon sind wir auf dem Weg zum Platz. Dort ist eine Bühne
aufgebaut und es herrscht munteres Treiben. Nach circa einer Stunde, ich habe
immer noch nichts in mein Tagebuch geschrieben, kommen Arzúas Musiker mit
Pauken und Trompeten. Die Instrumente werden eingespielt. Dazwischen versucht
ein Tontechniker, den richtigen Ton über die Lautsprecher zu finden. Alles
spielt nun musikalisch durcheinander. Zwischendurch das grelle Pfeifen aus den
Lautsprechern. Der Platz hat sich mit Gästen gefüllt. Jung und Alt, alles, was
laufen kann, ist auf den Beinen. Sogar die Stadthunde wollen sich diese
Attraktion nicht entgehen lassen und liegen faul herum. In Spanien gibt es wohl
überall etwas zu feiern! Sei es in Pamplona, Burgos, Carrión de los Condes, in
Ponferrada oder hier. Der Juli ist wohl der Festtagsmonat der Spanier. So kommt
es mir vor! Aha, jetzt wird sich zum Umzug aufgestellt. Die Musikkapelle
vorneweg und mit rum-ta-ta setzt sich der Zug in Bewegung. Schöne Blasmusik.
Richtig flott!
In Arzua geht die Post
ab
Das
Ganze erinnert mich an unsere Schützenfeste. Was ging es da immer feucht
fröhlich zu!
Mittlerweile
ist es hier so laut, dass wir unser eigenes Wort nicht mehr verstehen können.
Bum, bum, bum, ertönt die Pauke und die Trompeten schmettern, was das Zeug
hält. Und immer wieder ist das unangenehme Piepsen aus den Lautsprechern zu
hören. Wir sind wohl die Einzigen auf diesem Platz, die sich die Ohren
zuhalten. Sogar die Hunde bleiben bei diesem musikalischen Spektakel in aller
Ruhe liegen und die Alten schwatzen munter drauflos. Ob die wohl all das
verstehen, was der andere so sagt? Oder lesen sie die Worte von den Lippen ab?
Chris und ich müssen uns fast anschreien, weil wir sonst nichts verstehen. Ich halte
mir die Ohren zu und gebe ihr zu verstehen, zu gehen. Sie hält das Gepiepe und
das Geschalle aus den Lautsprechern, das so ganz anders als die Blasmusik ist,
auch nicht mehr aus. Wir kehren zur Herberge zurück. Christine legt sich noch
etwas aufs Bett. Ich setze mich nach draußen, um die Geschehnisse
niederzuschreiben. Mit dem Gaskocher, dem löslichen Kaffee und meinen
Zigaretten, bin ich gut ausgerüstet. Dann kann die Arbeit ja beginnen. Nichts
steht meinem Tatendrang mehr im Wege. Das Tagebuch liegt aufgeschlagen vor mir.
Den Stift in der Hand starre ich auf das leere Blatt und überlege krampfhaft,
wo wir denn gestern waren.
Ja,
wo waren wir denn? Das ist doch erst ein Tag her. Ich komme partout nicht
darauf! Also muss ich hinauf in den Schlafsaal, wo mein Rucksack steht. Darin
finde ich die Etappenkarte.
Ein
Blick darauf lässt bei mir den Groschen fallen. Palas del Rei, lese ich.
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