Camel Club 03 - Die Spieler
Stone.
»Keine Ahnung. Mein Verstand lässt mich derzeit im Stich.«
»Na schön, dann springe ich ein. Wir folgen dem Mann. Vielleicht gewinnen wir dadurch neue Aufschlüsse.«
»Der Mistkerl hat meine Mutter sterben lassen!« Annabelles Hände klammerten sich so krampfhaft an die Armlehne, dass ihre Finger weiß wurden. Stone legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.
»Ich kann Sie verstehen, Annabelle. Ich weiß, warum Menschen aus den falschen Gründen sterben müssen oder am Leben bleiben. Ich kann verstehen, dass es Sie schockiert, so plötzlich entdecken zu müssen, dass Ihr Vater noch lebt, und dann auch noch hier vor Ort. Aber wir müssen klaren Kopf bewahren. Ich kann nicht glauben, dass seine Anwesenheit ein Zufall ist. Sie etwa?« Annabelle schüttelte den Kopf. »Also folgen wir ihm«, wiederholte Stone seinen Vorschlag. »Fühlen Sie sich dem gewachsen? Oder soll ich Sie absetzen? Ich kann ihn auch allein beschatten.«
»Nein, ich will dabei sein«, entgegnete sie scharf, um dann gefasster hinzuzufügen: »Es geht mir schon besser, Oliver. Danke.« Kurz drückte sie seine Hand.
Beide spähten zum Fahrzeugfenster hinaus und sahen Paddy Conroy in einen verbeulten Truck steigen, der am Straßenrand parkte.
Die Fahrt dauerte nur zehn Minuten. Mittlerweile hatten sie sich ein gutes Stück von dem kleinen Küstenort entfernt und fuhren durch flaches Land. Als der Truck zu einem schmiedeeisernen Tor abbog, schnappte Annabelle nach Luft.
Stone wartete einen Moment; dann lenkte auch er den Wagen durch das Tor des Mount-Holy-Friedhofs. Augenblicke später waren sie aus dem Auto gestiegen und schlichen leise zu einem Hain, aus dessen Deckung sie beobachteten, wie Paddy zu einer Grabplatte schlurfte. Er zog eine Handvoll Blumen unter dem schäbigen Mantel hervor, kniete sich hin und legte sie auf das eingesunkene Erdreich. Dann nahm er den Hut ab, wobei er dichtes weißes Haar enthüllte, und faltete die Hände. Anscheinend betete er. Einmal war zu hören, wie er laut aufstöhnte. Er griff in die Tasche, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich übers Gesicht.
»Ist das etwa das Grab Ihrer Mutter?«, fragte Stone.
Annabelle nickte knapp. »Besucht habe ich es nie, aber ich habe mich über die Lage informiert.«
»Sieht so aus, als würde er trauern.«
»Der alte Arsch zieht die Show nur ab, damit er sich nach all dem Mist, den er verbockt hat, besser fühlt. Er hat sich nie geändert.«
»Menschen ändern sich«, widersprach Stone.
»Der nicht. Nie und nimmer.« Als Oliver sich in Bewegung setzte, fasste sie seinen Arm. »Was haben Sie vor?«
»Ihre Theorie überprüfen.«
Ehe Annabelle ihn aufhalten konnte, betrat Stone den Friedhofsweg und näherte sich Paddy. Er ging langsam und tat so, als lese er die Grabinschriften. Schließlich blieb er vor einem verwitterten Stein stehen, zwei Gräber von dem weinenden Paddy entfernt.
»Ich will Sie nicht stören«, sagte Stone halblaut. »Aber ich war schon seit Jahren nicht mehr am Grab meiner Tante. Ich wollte mal wieder nach dem Rechten sehen.«
Paddy blickte auf und fuhr sich erneut mit dem Tuch übers Gesicht. »Das ist ein öffentlicher Friedhof, mein Freund.«
Stone kniete vor dem Grabstein nieder, den er sich für seinen Auftritt ausgeguckt hatte, behielt jedoch Paddy im Augenwinkel unter Beobachtung. »Manchmal hat man das Gefühl, Friedhöfe entziehen einem alle Kraft, nicht wahr?«, meinte er mit gedämpfter Stimme.
Paddy nickte. »Wissen Sie, Friedhöfe sind eine Bußstätte für die Lebenden. Und uns allen eine Warnung.«
»Eine Warnung?« Stone drehte den Kopf, richtete den Blick auf Paddy und sah erst jetzt, dass der Mann sterbenskrank war. Man erkannte es an den Grauschattierungen im kalkweißen, eingefallenen Gesicht, dem ausgezehrten Körper und den bebenden Händen.
Paddy nickte ein zweites Mal. »Schauen Sie sich die vielen Gräber an.« Er hob einen zittrigen Arm. »Alle diese Toten warten auf den Allmächtigen, dass er herabsteigt und ihnen sagt, wohin es mit ihnen geht. Sie warten in der Erde oder im Fegefeuer, wenn man an so etwas glaubt. Sie warten auf Christi Wiederkehr und seinen Entscheid, wo sie bleiben werden. Für die Ewigkeit.«
»Im Himmel«, sagte Stone, wobei er gleichfalls nickte, »oder in der Hölle.«
»Sind Sie Spieler?«, fragte Paddy, worauf Stone den Kopf schüttelte. »Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, das eine oder andere Spielchen zu wagen. Worauf würden Sie setzen? Dass mehr Leute
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