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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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interessanter als ein Kerl, dem das Gehirn zwischen den Beinen baumelte.
    Warum wohl wollte Nete sie sehen? Seit dem Öffnen des Briefes bis heute, bis zu diesem Morgen, als sie früh ins Auto gestiegen war und Kurs auf Kopenhagen genommen hatte, beschäftigte sie diese Frage. Hatte Nete nicht vor langer Zeit, als sie sich zum letzten Mal getroffen hatten, ausdrücklich gesagt, dass sie sie nie mehr sehen wolle?
    »Wegen dir, nur wegen dir bin ich auf diese verdammte Insel gekommen. Du hast mich dazu verleitet«, ahmte Rita zwischen zwei Lungenzügen ihre alte Freundin nach. Unterdessen versuchte der Kerl im Jogginganzug auszuloten, was mit ihr los war.
    Rita lachte. Was für eine kranke Zeit, jene kalten Tage damals, 1955, in dieser Irrenanstalt in Ostjütland.

    An dem Tag, als Nete in die Anstalt von Brejning eingeliefert worden war, hatten sich vier der leicht Debilen geprügelt, dass es in den Gängen nur so widergehallt hatte.
    Solche Tage liebte Rita, da war was los. Sie hatte noch nie was dagegen gehabt, zuzusehen, wenn Prügel ausgeteilt wurde, zumal das Pflegepersonal richtig gut im Zuschlagen war.
    Sie stand gleich neben dem Eingang, als die Polizisten mit Nete zwischen sich das Haus betraten. Ein Blick reichte, und sie wusste, dass sie ein Mädchen vor sich hatte, das aus dem gleichen Holz geschnitzt war wie sie. Hellwache Augen, allerdings erschrocken angesichts all des Hässlichen. Aber nicht nur das, in den Augen sah sie auch Wut. Die Neue war bestimmt eine richtig Zähe, genau wie sie.
    Rita schätzte Wut über alles, Wut war immer ihr Antrieb gewesen. Wenn sie irgendeinem Blödmann die Brieftasche klaute oder wenn sie ein paar Idioten zur Seite schubste, die ihr im Weg standen. Dass Wut zu nichts führte, war ihr durchaus klar, aber schon allein das Gefühl war gut. Mit Wut im Bauch konnte man alles schaffen.
    Sie gaben der Neuen ein Zimmer, das nur zwei Türen von Ritas entfernt lag. Gleich beim Abendessen beschloss sie, dieses Mädchen zu bearbeiten. Sie beide sollten Freundinnen und Verbündete werden.
    Sie schätzte, dass die andere ein paar Jahre jünger war als sie selbst. Bestimmt eine von den Naiven, die nicht so parierten, wie es von ihnen erwartet wurde, aber durchaus helle waren. Die nur noch nicht genug vom Leben und dem Wesen der Menschen wussten, um zu verstehen, dass alles nur ein Spiel war. Na, das wollte Rita ihr schon beibringen.
    Wenn die Neue es leid war, den ganzen Tag Strümpfe zu stopfen, und wenn die ersten Streitereien mit dem Pflegepersonal ihr die Tage schwer machten, dann würde sie Trost bei ihr, Rita, suchen. Und getröstet sollte sie werden. Noch ehe die Buchen wieder ausschlugen, wären sie beide zusammen getürmt, das versprach Rita sich. Quer durch Jütland, dann in Hvide Sande an Bord eines Fischtrawlers und damit ab nach England. Zwei hübsche Mädchen auf der Flucht, bestimmt gab es auf den Kuttern welche, die sich ihrer annehmen würden. Wer hätte nicht gern zwei wie sie unter Deck? Ja, sie würden die Trawler schon zum Schaukeln bringen.
    Und wenn sie dann erst in England wären, würden sie Englisch lernen und alle möglichen Jobs annehmen, und wenn sie dann erst mal genug gelernt hätten, dann wäre der nächste Schritt dran. Amerika.
    Rita hatte den Plan fertig im Kopf gehabt. Ihr hatte nur noch eine gefehlt, die mitmachte.

    Es hatte keine drei Tage gedauert, da hatte diese Nete die ersten Probleme. Sie stellte ganz einfach zu viele Fragen. Und da sie zwischen all den schwerbehinderten Menschen deutlich hervorstach, wurden ihre Fragen gehört und als Angriff aufgefasst.
    »Halt dich zurück«, warnte Rita sie draußen auf dem Gang. »Zeig ihnen nicht, wie schlau du bist, das hilft dir hier nicht weiter. Tu, was sie dir sagen, und tu's schweigend.«
    Dann fasste sie Nete am Arm und zog sie zu sich heran. »Du kommst hier weg, das verspreche ich dir. Aber zuerst eine Frage: Rechnest du damit, dass dich jemand hier in Jütland besucht?«
    Nete schüttelte den Kopf.
    »Dann gibt es also niemanden, zu dem du nach Hause gehen kannst, falls die dich hier jemals rauslassen?«
    Ganz offensichtlich erschütterte die Frage sie. »Was meinst du mit ›jemals‹?«
    »Du denkst doch nicht, dass du hier einfach so rauskommst? Ich weiß selbst, dass die Häuser ganz nett aussehen, aber ein Gefängnis sind sie trotzdem. Und auch wenn du weit über die Bucht und die Felder schauen kannst - ringsum, in allen Ackerfurchen, wächst unsichtbar der Stacheldraht. Und über diesen

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